Übersetzung des Editorials aus der Printausgabe 2/2013 

Machen Sie Lärm!

Jean-Damien Humair, 06.02.2013

Übersetzung: Pia Schwab

«Kakofonie» – das Schlagwort fiel schnell einmal, als wir ein Thema für unsere Februarnummer suchten. Man verbindet es ohne viel zu überlegen mit Fasnachtsmusik. Und das hat mindestens zwei Gründe: Auf der einen Seite feiert die Fasnacht, ihre Tradition reicht ja bis in die Antike zurück, das Ende des Winters und vertreibt ihn mit lärmiger und dissonanter Musik. Auf der anderen Seite ist sie das Fest der Verkleidung. Die Armen dürfen für einen Tag den Platz der Reichen oder gar des Königs einnehmen. Und wenn die soziale Ordnung symbolisch auf dem Kopf steht, muss man auch Musik machen, die auf dem Kopf steht, sich selbst parodiert: Katzenmusik mit Alltagsgegenständen, die sich fern von ihrem gewöhlichen Nutzen als Instrumente «verkleidet» austoben. Schläuche, Röhren, Trichter gebärden sich als Trompeten, Pfannen und andere Küchengeräte als Schlagzeug.

Es ist eine schweizerische Besonderheit, dass dieses Getöse von den festlichen und farbenfrohen Blasorchestern aufgenommen wurde. Daraus entstanden in Basel und Luzern zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Guggenmusiken.

Erstaunlicherweise begannen genau in jener Zeit, in einer ganz anderen Sparte, avantgardistische Komponisten wie Luigi Russolo Musik aus Geräuschen zu schaffen. Seinen Höhepunkt erreichte dieses Vorgehen mit Pierre Schaeffer, der 1966 seinen Traité des objets musicaux publizierte, ein monumentales Werk, das alle möglichen und vorstellbaren Geräusche nach einer Reihe von präzisen Kriterien klassifiziert. Damit wurde auch die konkrete Musik geadelt, die Schaeffer und seine Schüler schufen, indem sie die Klänge an sich bearbeiteten, die sie auf Tonband aufgenommen hatten. Die Komposition Variations pour une porte et un soupir (Variationen für eine Tür und einen Seufzer) von Pierre Henry, eine Stunde Hauchen und Knarren von Türangeln, ist ein sprechendes Beispiel.

«Das ist keine Musik, das ist Lärm!», versäumten die Kritiker nicht zu sagen. Aber wie oft hat man diesen Satz schon gehört, für alle möglichen Stile, die sich ausserhalb der üblichen Pfade bewegen. Der Jazz wurde am Anfang des 20. Jahrhunderts so sehr mit dieser Floskel abqualifiziert, dass sein Name eine Weile gleichbedeutend war mit Höllenlärm. Und erst der Rock, fünfzig Jahre später, oder die Serielle Musik! Heute hört man Jazz in der Salle Pleyel und die Rolling Stones wurden von der Königin geadelt.

Es ist also schon lange her, dass die Musik bloss eine «Kunst schöne Melodien zu schreiben» war, wie es die Wörterbücher des 18. Jahrhunderts festlegten. Eine Nummer zum Thema Kakofonie öffnet also ein überaus weites Feld. Schliessen wir daher so, wie die Rapper ihr Publikum anheizen: Macht Lärm!

Viel Vergnügen!

 

P.S. Wieviel Musik in alltäglichen Geräuschen stecken kann, zeigt auch das folgende Video Sound of Noise: Music for one appartement and six drummers.
 


Kommentare

* Pflichtfelder

Neuer Kommentar
Ihr Beitrag wird nach redaktioneller Prüfung veröffentlicht.

Archiv

Hier finden Sie alle Artikel, die in der Schweizer Musikzeitung seit der ersten Ausgabe im Januar 1998 erschienen sind: Printarchiv

Artikel, die in der Schweizerischen Musikzeitung (bis 1983) erschienen sind, finden Sie in Bibliotheken (z.B. Zentralbibliothek Zürich, Schweizerische Nationalbibliothek).

Inserieren in der SMZ

Die Schweizer Musikzeitung bietet ein vielfältiges Umfeld für Ihre Inserate. Weitere Details finden Sie hier: Inserieren

Abonnieren Sie die SMZ

Die Printausgabe der Schweizer Musikzeitung erscheint 9 mal jährlich (Doppelnummern Januar/Februar, Juli/August und September/Oktober). Hier können Sie ein Abonnement bestellen: Abonnieren

Aktuelle Anzeigen

Stellenanzeigen

Hier werden Sie zu den aktuellen Stellenangeboten weitergeleitet. Weitere Inserate finden Sie in der Printausgabe.

Kauf/Verkauf

Hier werden Sie zu den aktuellen Angeboten weitergeleitet. Weitere Inserate finden Sie in der Printausgabe.

Kurse und Veranstaltungen

Hier werden Sie zu den aktuellen Angeboten weitergeleitet. Weitere Anzeigen finden Sie in der Printausgabe oder im Kurskalender.

Konzertagenda

Hier werden Sie zu den aktuellen Veranstaltungen weitergeleitet.

Tagungen / Symposien

Hier werden Sie zu aktuellen Tagungen und Symposien weitergeleitet.

Wettbewerbe

Hier finden Sie Links zu Wettbewerben.

Zur Geschichte der Schweizer Musikzeitung

1998 fusionierten sechs Verbandsorgane zur Schweizer Musikzeitung

Musikzeitschriften gibt es in der Schweiz seit dem 19. Jahrhundert; sie stehen bis weit ins 20. Jahrhundert hinein in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Chorgesang. Nach einer Periode der Zersplitterung entstand 1998 aus der Fusion von sechs Verbandsorganen die Schweizer Musikzeitung.

2008 feierte die Schweizer Musikzeitung ihr 10-jähriges Bestehen. Dies war der Anlass, einen Blick auf ihre lange Vorgeschichte zu werfen. Siehe Artikel Vom Sängerblatt zur SMZ in: SMZ 1/2008, S. 5 ff.

Im Januar 2013 wurde die Schweizer Musikzeitung neu gestaltet und inhaltlich erweitert. Relaunch

Wir danken der Fondation Suisa, der Schweizerischen Interpretenstiftung, der Stiftung Phonoproduzierende und der Pro Helvetia für die Unterstützung dieses Neuauftritts.

Am 28. November 2014 beschloss die ausserordentliche Delegiertenversammlung des Vereins Schweizer Musikzeitung, die NZZ Fachmedien AG ab 1. Januar 2015 als Verlegerin und Herausgeberin der Schweizer Musikzeitung einzusetzen und den Verein Schweizer Musikzeitung zu liquidieren. Siehe Nachricht.

Ab dem 1. Januar 2020 gehörte die Schweizer Musikzeitung zur CH Regionalmedien AG.
(Nach der Gründung des Joint Ventures CH Media im Jahr 2018 durch die NZZ und die AZ Medien ging die NZZ Fachmedien AG an die CH Regionalmedien AG.)

Per 1. Oktober 2020 wurde die Schweizer Musikzeitung von der Galledia Fachmedien AG übernommen. Siehe Mitteilung der CH Media.