
Spielen, kreieren, jurieren, fördern
Ein Gespräch mit der Ostschweizer Pianistin Simone Keller. Die ENTRADA-Wettbewerbe 2021 haben stattgefunden. Mit Free space beschreitet der SJMW einen neuen Weg.
Hans-Ulrich Munzinger — Es war für alle Beteiligten ein etwas anderer Wettbewerb, der ENTRADA-Wettbewerb 2021, Ende März gemäss den geltenden CORONA-Regeln durchgeführt. Die feste Meinung des SJMW: Nach der Absage 2020 muss 2021 ein Wettbewerb stattfinden, der Fördergedanke des SJMW verlangt es. Eine neue Erfahrung: Vorspiele ohne Publikum und mit den geforderten Einschränkungen. Auch Free space wird eine neue Erfahrung sein, die offene Kategorie, die dem Abenteuer- und Pioniergeist der jungen Generation Rechnung trägt und für ihre Beiträge ein eigenes Gefäss ausserhalb des normalen Wettbewerbs bereithält. Der deutsche Wettbewerb Jugend musiziert kennt ebenfalls eine solches Angebot. Simone Keller, Pianistin, Mitglied der Fachkommission und Wettbewerbsjurorin war bei der Entwicklung von Free space dabei. «Wir wollen beim SJMW Kreationsförderung betreiben und mit der Lancierung von Free Space ein Sparten übergreifendes Gefäss schaffen, das die Wettbewerbsgrenzen ausweitet.» Neuland also, in mehrfacher Hinsicht. Erstmals veranstalten die beiden Wettbewerbsteile Classica und Jazz&Pop einen gemeinsamen Wettbewerb, «mit dem Anliegen, dass Kinder und Jugendliche nicht nur im konservativen Sinne Musik reproduzieren, sondern sich auch in ihrer individuellen Expressivität und Originalität in einem kompetitiven Rahmen zeigen können. Und zudem gibt es erstmals eine Jugendjury.»
Wie sieht es aus mit Anmeldungen für Free space? Hat die Idee eingeschlagen? Sind Beiträge gekommen? Wieder Simone Keller: «Wir freuen uns, dass die Ausschreibung auf Interesse stösst. In den kommenden Wochen wird sowohl eine Fachjury als auch eine Jugendjury alle per Videoaufzeichnung eingegangenen Beiträge anhören und anschauen. Alle TeilnehmerInnen erhalten eine Rückmeldung. Ob bereits dieses Jahr eine Auftrittsmöglichkeit daraus entstehen kann, ist aber im Moment noch unklar.» Neben der Fachjury amtet auch eine Jugendjury, und es wird für alle spannend sein, zu beobachten, wie die Wertungen ausfallen. Ein Hauch von Pioniergeist weht in das erfolgreiche bestehende Wettbewerbsgefüge hinein. Aber: Wie vertragen sich normaler Wettbewerb und Free space?
Simone Keller (und mit ihr auch die weiteren beteiligten MusikerInnen aus der Fachkommission) verbindet reiche Erfahrung im Konzertleben und lebhaftes Interesse an neuen Projekten. Wettbewerben im Bereich der Kunst stehe sie ambivalent gegenüber, meint sie. Dass es nicht im eigentlichen Sinn messbare Kriterien gebe, mache die Rolle der Jury besonders anspruchs- und verantwortungsvoll: «Ohne das kritische, die eigene Rolle immer wieder hinterfragende Bewusstsein könnte ich niemals in einer Jury sitzen.» Die Delegierte des ehemaligen Tonkünstlervereins (heute SONART) hat als Kind selber viele Jahre am SJMW teilgenommen. „Meine Geschichte mit dem SJMW geht weit zurück in meine Kindheit, in der ich regelmässig an den Wettbewerben teilgenommen habe und für meine musikalische Laufbahn sehr wichtige Erfahrungen sammeln durfte. Aus eigener Erfahrung weiss ich, wie es gerade für ein schüchternes Kind von grosser Bedeutung sein kann, sich in die Wettbewerbssituation zu begeben und ich weiss, wie die musikalische Entfaltung und das Selbstvertrauen, eine eigene künstlerische Position zu finden, dadurch gestärkt werden kann. Die jungen Menschen, die zum SJMW kommen, können darauf vertrauen, mit offenen Ohren und offenem Herzen gehört zu werden.“ Sie selber nimmt die Herausforderung an und juriert seit 7 Jahren die Wettbewerbe. Als Pianistin mit einem weit gefächerten Berufsalltag ist Simone Keller aber auch prädestiniert, die andere Seite des Musikmachens zu vertreten, Free space eben, ausgerichtet auf das weniger Konventionelle, das Abenteuerliche und Wagemutige. Sie arbeitet als freischaffende Pianistin im Bereich der Musikvermittlung mit ganz unterschiedlichen Kindern und Jugendlichen zusammen, «von der Volksschule bis zum Jugendgefängnis.» Vieles bei ihr bewegt sich ne-ben dem klassischen Konzertbetrieb ausserhalb bekannter Pfade, im Kollektiv mit anderen Künstlerinnen und Künstlern, experimentierend in unterschiedlichen Stilen, Sparten und Genres. «Im dem Künstlerkollektiv ox&öl entwickle ich beispielsweise seit Jahren musiktheatralische Projekte, bei denen Inklusion und Diversität selbstverständlicher Bestandteil der künstlerischen Praxis sind und bei denen die Aufführungen in der Tonhalle und im KKL, aber auch im Brockenhaus, Jugendgefängnis oder in der Bahnhofshalle stattfinden.»
Bewährt und neu
Klassik, Jazz&Pop, Free space … Anlehnung an Bewährtes und Offenheit für Neues bereichern sich gegenseitig, davon ist der SJMW überzeugt. Neue Wege beschreiten, öffnen. Simone Keller begründet es ganz persönlich: „Ich möchte heute Musik, die mir so viel bedeutet und für mich ein Grundnahrungsmittel ist, mit möglichst vielen Menschen teilen und den Zugang insbesondere zur klassischen Musik und zur sogenannten Hochkultur erleichtern.»
Resultate der ENTRADA-Wett-bewerbe 2021 auf www.sjmw.ch
Jazz&Pop: Come together 10. April 2021
Classica: Finale 6.–9. Mai 2021 Im Südpol (Zentrum für Kultur in der Zentralschweiz) Luzern