
Neuere und neuste Musik am SJMW
Jedes Jahr vor dem Finale sind wir von neuem gespannt: Wie sehen die Wettbewerbsprogramme aus? Eine kleine Über-sicht, was am Finale des SJMW in Lugano gespielt wurde.
Hans-Ulrich Munzinger — 300 junge Musikerinnen und Musiker traten am Finale des SJMW in Lugano auf. Sie hatten sich mit einem 1. Preis in den Entrada-Wettbewerben dafür qualifiziert und spielten nun in ihren Disziplinen und Altersklassen um die wertvollen Punkte, die über den Preis entscheiden. Entsprechend der erreichten Punktzahl sind jeweils mehrere gleiche Preise möglich. Und so verteilten sich die Teilnehmenden auf die verschiedenen Disziplinen: Kammermusik 147, Klavier 66, Blechblasinstrumente 39, Gitarre 23, Alte Musik 14, Sologesang 14, Zeitgenössische Mu- sik 12, Orgel 3. Wer hat welches Resultat erreicht? Auf der SJMW-Website www.sjmw.ch ist die Rangierung abrufbar.
Was gespielt wird, ist jedes Jahr von neuem eine spannende Frage. Der Blick in die Programme zeigt, dass die Werke des Repertoires zwischen 1800 und 1900 am stärksten vertreten sind. Abgesehen von den Spezialdisziplinen Alte Musik und Zeitgenössische Musik zeichnen sich aber auch die übrigen Programme oft durch Einbezug älterer oder neuerer Musik aus. So umfasst der Klavierwettbewerb der 2. Alterskategorie eine Spanne von Daquins Le coucou bis zu Messiaen und Kurtag. Kurtag, Gubaidulina und Lutoslawski sind auch bei den Jüngsten vertreten, in der 3. Alterskategorie trifft man auf Jean Françaix, in der 4. auf Messiaens Vingts regards sur l’enfant Jésus. Musik aus der Zeit um 1900 ist stark vertreten: Ravel, Bartók und vor allem Debussy – aber Vorsicht: Nur ein einziger der zahlreich an den Entradas gehörten Petits nègres hat es in den Final geschafft, dafür trifft man auf Arabesques, Images pour piano, Childrens corner. Was im Vergleich zu den Streichern auffällt: Die klassisch-romantische Sonatenliteratur wird von den Pianisten stark berücksichtigt, wohingegen beim Streicherwettbewerb die virtuose Sololiteratur (Paganini, Bériot, Wieniawski, Sarasate) dominiert. Tasten-Raritäten am Rande: Skrjabin, Ginastera, Villa-Lobos, Alban Berg, und als Rarissimum die Sonatine pour les Dinosaures für Orgel.
Neuere Musik trifft man ebenso in den Programmen der Blechblasinstrumente und der Gitarren: Pascal Proust, Volker David Kirchner und Daniel Schnyder bei den Hornisten, bei den Gitarristen sind es Brouwer und Kindle, aber auch unbekanntere Namen wie Dusan Bogdanovic und Bruce MacCombie. Kammermusik-Duos spielen zum Beispiel aus den Duetti von Berio, Streichquartette (neben Haydn und Beethoven) Bartok, Schostakowitsch, Ravel. Neuere Musik: Sie ist also durchaus vertreten, und doch fragt es sich: Wie steht es mit dem Gleich- gewicht zur klassisch/romantischen Musik? Und was ist mit der neusten Musik, der Musik unserer Tage? Sie kommt kaum vor, und wenn, dann zumeist in populär angewandter Form wie Tango o.ä. Erst der Wettbewerb für Zeitgenössische Musik bringt die neueste Musik zu Gehör. Er hat als Anforderung, dass nicht einfach das Jahr der Entstehung zählt, sondern dass die Werke vom Stil und von den Spieltechniken her so zu wählen sind, dass sie der avancierten zeitgenössischen Musik angehören. Die Jury erhält bei diesem Wettbewerb die Noten vorgängig zugestellt, um sich in die oft komplizierten Werke einzuarbeiten.
Was am SJMW gespielt werden soll, dazu macht der Wettbewerb nur in geringer Weise Vorgaben. Es gibt Referenzlisten. Die Spieldauer ist in jeder Alterskategorie festgelegt. Und die Werke müssen sich vom Stil und von der Epoche her unterscheiden. Gemäss diesen Vorgaben stellen die Teilnehmenden das Programm selber zusammen. Damit wird deutlich, welche Musik aus welchen Epochen heute en vogue ist und welche Werke im Unterricht stark berücksichtigt werden. Kammermusikspiel zum Beispiel tritt im Vergleich zu früher stärker in Erscheinung: ein Spiegel der heutigen Musikausbildung. Unvermindert stark gefragt sind die Solodisziplinen, und hier zeigt es sich, dass nicht nur die gängigen Repertoire-Stücke Erfolg versprechen, sondern auch unkonventionelle, gut gespielte Programme durchaus eine Chance haben. Wie wird sich das Wettbewerbs-Repertoire in den kommenden Jahren entwickeln? Die Teilnehmenden, die Lehrpersonen und die Mitglieder der Jury geben dem Wettbewerb das prägende Gesicht.