
Der abgesagte Wettbewerb
Zum ersten Mal in der über 50jährigen Geschichte des Schweizer Jugendmusik-wettbewerbs kann kein Wettbewerb stattfinden. Ein Augenschein bei Betroffenen – wir fragen nach.
Hans-Ulrich Munzinger — Corona ist in den Augen vieler ein Lehrstück über die Verletzlichkeit unserer Gesellschaft und unserer Institutionen. Und auch über ihren Wert. Es geht uns wie allen, die sich im Kultur- und Musikpädagogikbereich engagieren: Abgesagt! Aber kein Lamento – vielleicht wird nun wieder deutlicher erkennbar, um was es geht, was auf dem Spiel steht, und was es zu schützen und zu bewahren gilt. Kein Wettbewerb in diesem Jahr – was bedeutet das? Zwei Teilnehmende und ein Musiker und Juror geben Auskunft. «Évidemment, cela a été une grande déception car nous avions beaucoup travaillé, organisé de nombreuses répétitions ensemble ou avec pianistes,» schreiben zwei Teilnehmende aus der Romandie, die an 4 Wettbewerben eingeschrieben waren, nämlich für die Disziplinen Violoncello, Klarinette, Duo und Komposition. Aber, sagen sie: «L’annulation était la seule décision possible!» Die Corona-Krise hat ihr Alltagsleben verändert: «Plus d’école, plus de cours au conservatoire, plus de répétitions d’orchestres et de fanfare, tous les concerts, masterclasses et concours annulés pour plusieurs mois.»
«Nous pouvons continuer à travailler individuellement ou en duo à la maison avec l’aide par exemple d’une application comme Tomplay (pour remplacer le piano).» Sie machen dabei auch Gebrauch von den neuen Mitteln der social media: «Nous jouons tous les jours depuis le début du confinement en direct sur Facebook pour égayer un peu l’après-midi de nos amis et famille.» Und, kein Problem!, die Arrangements für das duo de famille machen sie gleich selber. «Nous sommes passionnés par la musique. Avec une telle passion, on ne s’ennuie jamais!» Und wie viele machen sie sich Gedanken, was diese Krise bedeutet. «La crise du coronavirus est une épreuve pour tout le monde qui va changer notre vie.» Wenn die Situation sich gebessert hat, meinen sie, werden sie wieder Freunde besuchen und mit ihnen zusammen musizieren können – und hoffentlich wieder an den SJMW kommen, nächstes Jahr!
Matthias Arter, Oboist und Komponist, präsidiert im SJMW die Jury des Kompositionswettbewerbs. Wie sieht die Situation für ihn aus? «Konzerte, Aufnahmen, Kirchendienste, Proben, das ganze Spektrum, einfach alles fällt im Moment weg! Ich habe eine leere Agenda, mit Ausnahme des Unterrichtes, den ich allerdings momentan sehr flexibel handhabe und kaum mehr als eine Woche im Voraus plane.» Der online Unterricht hat für Matthias Arter das Problem, dass das Interaktive weitgehend ausfällt. «Ich versuche es. Aber Skype&Co. sind nicht zeitecht, und klanglich ist jede Technik mit Musik und Klang sehr schnell überfordert. Ich lasse mir vor den Lektionen von den Studierenden Aufnahmen des erarbeiteten Repertoires schicken. Dies hat neben einem besseren Klangbild auch den Vorteil einer grösseren Verbindlichkeit der Arbeit. Meine Unterrichtseinheiten sind nun deutlich kürzer, dafür aber häufiger. Nach dem Online-Unterrichten fühle ich mich viel ausgelaugter und unbefriedigt, nach ca. 4 Lektionen ist kräftemässig Schluss, nicht wie sonst, wo mir die Kräfte auch nach 10 Stunden nicht ausgehen.»
«Die Entrada des Kompositionswettbewerbs 2020 hatte bereits stattgefunden, als die Absage kam,» sagt Arter. Die Werke waren gesichtet und bewertet; 9 von insgesamt 17 Werken waren von der Jury für das Finale ausgewählt worden. Vielleicht kann aber trotz Absage das Finale stattfinden, allerdings erst im Herbst. «Es wäre unfair, diese Auswahl einfach zu ignorieren. Folgende Lösungen sehen wir: Wir führen in einem guten Saal ein ca. 2-stündiges Konzert durch, in welchem die Stücke gespielt werden. Als Ausweichmöglichkeit sehen wir auch eine Lösung mit Aufnahmen, dies aber nur, wenn die Lage weiterhin keine öffentlichen Anlässe erlauben würde – was wir alle wirklich nicht hoffen möchten!»
Der Ausdruck «Nachholen», sagt Arter, sei reichlich unklar. Denn primär falle zunächst einmal einfach alles weg. «Der Ausdruck «Nachholen» lenkt vom eigentlichen Problem ab, dass viele MusikerInnen momentan arbeitslos sind!» In seiner persönlichen Situation kann er die Zeit für ein Kompositionsprojekt nutzen. «Ich hätte für die momentane Zeit sowieso eine Komposition in Planung gehabt, für die ich nun mehr Zeit als vorgesehen habe - eine schöne und luxuriöse Situation. Auch gibt es einige Arrangements, die ich zur Editionsreife bringen kann. Und das Privatleben! Familie und Garten sind dankbar, dass momentan «geschenkte Zeit» zum Verschwenden da ist!» Am Schluss sollen die treffenden Worte stehen, die Helena Maffli, Präsidentin des Stiftungsrates, an alle von der Wettbewerbsabsage Betroffenen gerichtet hat: «Ich bin der festen Überzeugung, dass in ungewissen und schwierigen Zeiten die Kraft der Musik uns trägt und stärkt. Mehr denn je braucht die Welt die mächtige Botschaft, hinausgetragen von jungen Menschen, die mit grossem Ernst und Eifer musizieren und die Musik – ihre Musik – erklingen lassen. In diesem Sinne möchte ich mich schon jetzt für die Jahre 2021, 2022 usw. mit Ihnen allen verabreden!»