
Reihe 9 # 48
Einst galt Giovanni Pierluigi da Palestrina als «Retter der Kirchenmusik». In einer Zeit, in der aktuell jegliche Art von Konzertveranstaltung untersagt ist, haben nun seine mehrstimmigen Messen der einsetzenden Entwöhnung von live aufgeführter Vokalmusik Einhalt geboten. Unter dem internationalen Motto «A Global Prayer for the People» und mit bischöflichem Segen wurde vom 20. auf den 21. November im Augsburger Dom unter den Hygiene-Auflagen für Gottesdienste eine 24-stündige «Andacht mit Musik» zelebriert – und per Livestream übertragen.
Schon beim Einchecken im Hotel waren aus einem angrenzenden Raum die Augsburger Domsingknaben zu hören. Man machte sich warm an diesem kalten Tag. Nach den Fürbitten wurde der ungewöhnliche Palestrina-Marathon allerdings von acht professionellen Ensembles übernommen: den Vokalisten des Konzerthauses Blaibach, dem Chor der KlangVerwaltung, SingerPur, AUXantiqua, Ælbgut, Vodeon, Quintessenz und InVocare, ergänzt durch instrumentale Interludien mit Sigiswald Kuijken, Marleen Thies, Olga Watts und dem Domkapellmeister Stefan Steinemann. Was aussah, wie von langer Hand geplant, ging auf eine spontane Idee des Baritons Thomas E. Bauer zurück, die keine zwei Wochen zuvor geboren worden war. Dank allgemein leergeräumter Terminkalender waren Sängerinnen und Sänger rasch gefunden, das Programm bald zusammengestellt und eine Gruppe Techniker engagiert, die die musikalischen Gebetsstunden mit Ton und Bild in alle Kontinente aussandte. Eine logistische Meisterleistung, denn die Mitwirkenden wechselten sich beim Singen und Ruhen auch die Nacht hindurch ab. Nachdem sich um 00:30 Uhr im Saal am Hotel erneut Stimmen warm sangen, nahm auch ich nochmals Schal wie Mantel und stapfte durch leere Strassen in den Dom, wo neben der allgegenwärtig ordnenden Security nur noch wenige Hörerinnen und Hörer ausharrten. Auch für die beteiligten Vokalisten wurde es zu dieser späten oder eher frühen Stunde hör- wie sichtbar zunehmend ungemütlich.
Unklar blieb, wie gross der Zuspruch an den Bildschirmen war. Jedenfalls spielten angesichts der durchgehenden Andacht die Zeitzonen auf unserem «pale blue dot» keine Rolle. Der Vorteil einer solchen Hybrid-Veranstaltung zeigte sich freilich morgens um 9 Uhr, als sich zu meiner Überraschung die Gemeinde bei schönstem Sonnenschein für eine Firmung im Dom versammelt hatte. Im Live-Stream lief derweil eine vorproduzierte Strecke mit noch frischen Stimmen. Dass mit Rücksicht auf die amtlichen Vorgaben die als Höhepunkt gedachte 18-stimmige Missa Tu es Petrus durch eine Wiederholung der Missa Papae Marcelli ersetzt wurde – geschenkt. Auch so wurde deutlich, dass Palestrina mit seinen Kompositionen eine Art umfassende Norm gesetzt hatte, die kaum Abweichungen zuliess, die aber im Augsburger Dom durch ganz unterschiedliche Klangideale und Stimmkonstellationen der Ensembles nicht an Reiz verlor.
Ihr
Michael Kube
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- Eine Frage der Perspektive: Blickwinkel der Anwesenden im Dom ...
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- ... und der Zuschauer am Bildschirm.