
Reihe 9 # 7
Es gibt Begriffe, die erinnern an ein Start-up-Unternehmen: Sie tauchen plötzlich auf, kommen in Mode, werden (neudeutsch) «gehypt» – und sind dann auch schon wieder verschwunden. Man muss nach solchen Begriffen aber nicht unbedingt in der sogenannten Jugendsprache suchen, die sich von Generation zu Generation verändert und neue Worte schöpft. Auch im Wissenschafts-Slang gibt es derartige Moden (oder gar Fähnchen im Wind), selbst im vertrauten Musikleben: Weltmusik (World Music) und Cross-over zum Beispiel. Zwei Begriffe, die durch Marketingstrategien rasch in aller Munde waren – auch wenn bis heute jeder etwas andres darunter versteht. Dabei bezieht sich «Weltmusik» auf den mehr geografisch bestimmten Ethnomix, beim «Cross-over» sind es fest etablierte Genres und Stile.
Die kreative Auseinandersetzung mit unterschiedlichen oder auch fremden Formen der Musik und Musikausübung hat es freilich schon immer gegeben, von den fernen Importen der mittelalterlichen Kreuzfahrer bis hin zu den neuen bunten Mischungen im Zeichen der kulturellen Globalisierung. Aber egal wo und wie: In der Regel sind es einzelne Personen, die mit offenem Ohr einen neuen Weg für sich finden und von denen Innovationen ausgehen.
Oft zählt allerdings die Originalität mehr als eine stilistische Setzung – eine Originalität, die auch ihre Halbwertszeit hat und sich abnutzen kann. Ein gutes Beispiel dafür ist die Celebration Jazz Mass des jüngst verstorbenen tschechischen Komponisten Karel Růžička (1940–2016). Man merkt dem 1991 entstandenen Werk noch heute die damalige Entdeckerfreude an. Und dass 26 Jahre nach der Uraufführung nun einer Fassung mit sinfonischem Orchester den Smetana-Saal des Prager Stadthauses fast restlos füllen konnte (am 7. Juni 2017), zeigt eindrücklich, wie bekannt die Partitur in Böhmens Hain und Fluren ist. Ob man aber der Komposition mit dieser neuen Fassung einen Dienst erwiesen hat, sei zumindest dahingestellt. Denn viele eingängige Passagen muten nun klanglich, das heisst: sinfonisch überbordend, steif an, die Einlagen des Jazz-Ensembles sind kaum mehr integriert. Die Konsequenz: Trotz der für den Chor dankbaren Partien fiel die Messe ausserhalb ihres angestammten liturgischen Rahmens gegenüber der Authentizität eines vorausgegangenen Gershwin-Programms deutlich ab. Ein Lehrstück darüber, dass dramaturgisch nicht immer alles geht, was scheinbar passt.
Ihr
Michael Kube
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- Foto: mku
- Aufführung der «Celebration Jazz Mass» am 7. Juni in Prag.