Reihe 9 # 17
Gross war die Aufregung, als 1967 Pierre Boulez in einem Spiegel-Interview geradewegs postulierte, man solle doch die Opernhäuser in die Luft sprengen. Ein Bonmot, das immer wieder einmal bemüht wird, das jedoch schon lange selbst Geschichte geworden ist. Denn Boulez monierte einst das starre Repertoire und, trotz zahlreicher Uraufführungen, die fehlenden neuen Impulse. Seit Alban Bergs Wozzeck sei keine diskutable Oper mehr komponiert worden. Aus heutiger Perspektive eine schwierige, weil beschränkende Aussage. Denn wenn nicht auf der Bühne und selbst in Phasen der Stagnation: Wo sonst sollte sich das Musiktheater erneuern, wo sonst kann es der Gesellschaft oder dem Zeitgeist den Spiegel vorhalten – oder ihm auch nach dem Mund reden? Rechtfertigte Boulez’ explizite Ablehnung etwa der Werke Verdis diesen pointierten ästhetischen Terrorismus?
Freilich fällt es selbst dem nur um wenige Monate Nachgeborenen schwer, sich in die damalige Zeit zurückzuversetzen oder mit allen Konsequenzen einzudenken: in die Kluft zwischen der beharrenden und der aufbegehrenden Generation, in die scharf gezogenen Grenzen der Kunst. Wobei sich die einstige Avantgarde mit ähnlichen Strategien kaum weniger abzugrenzen suchte, als es ihre widerstreitenden Väter von ihr taten. Vieles hat sich seither selbst überlebt, anderes ist in das Repertoire eingegangen – vor allem aus dem Œuvre jener Komponisten, die sich von keiner Seite vereinnahmen liessen. Zu ihnen gehört auch Bernd Alois Zimmermann, der unbeeinflusst von den Ideologien seiner Zeit einen deutlich wahrnehmbaren eigenen Stil und Gedanken entwickelte: von der freien Atonalität zur streng gebundenen Dodekafonie, schliesslich auch zu seriell strukturierten Arbeiten, bis (unter Einbeziehung des Jazz) zur Collage. Aus Anlass seines 100. Geburtstags brachte die Oper Köln nun seine Soldaten neu heraus – jenes vieraktige Drama, das sie einst selbst in Auftrag gegeben hatte, zunächst für unspielbar hielt und letztlich doch am 15. Februar 1965 auf die Bühne brachte. Damals ein erschütternder Skandal, war die Komposition trotz (oder wegen) ihrer Herausforderungen inzwischen an zahlreichen Häusern zu sehen und hören.
Für die Oper Köln mag es jetzt ein Glück gewesen sein, dass sich die Sanierung und Renovierung des Stammhaues hinzieht. Denn mit dem Ausweichquartier im StaatenHaus, einer Messeanlage aus den 1920er-Jahren, ist derzeit ein wirklich grosszügiger Raum vorhanden, in dem nicht nur die Zuschauerreihen frei nach den Erfordernissen eingebaut werden können. Auch das riesige Orchester nebst umfänglicher Bühnenmusik und Jazz-Combo agieren nicht beengt, sondern können frei aufspielen (unter der musikalisch gestaltenden General-Stabführung von François-Xavier Roth) – während die Inszenierung sich umlaufend abspielt. Ob allerdings Carlus Padrissa mit seiner Sicht auf das Geschehen ein Coup gelungen ist, darf trotz der Begeisterung bezweifelt werden. Vieles erscheint dann doch zu stark auf den blossen Effekt bedacht – und warum sich am Ende alle Soldaten selbst erhängen, erschliesst sich nicht: Die Handlung bleibt auf sich allein bezogen, statt anzurühren, anzugreifen und sich mitzuteilen. Zu wenig für eine Oper, bei deren Uraufführung am Ende einst das Bild einer zündenden Atombombe stehen sollte. Das teilweise Aufflammen der Scheinwerfer zum Publikum bleibt da nur ein müdes Zitat.
Ihr
Michael Kube
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- Foto: mku
- Reste einer multimedialen Schlacht