
Reihe 9 # 32
Was ist nur auf den Bühnen dieser Welt los? Denn weder Wagner noch Bayreuth haben ein Jubiläum zu begehen – und doch ist der Ring gleichsam überall. Karlsruhe und München hatten ihn bereits vor wenigen Jahren, Hamburg, Genf (mit einer Reprise), Duisburg (konzertant) und Kiel im letzten Winter und Frühjahr. Aber das ist im Grunde gar nichts gegen die kommende Saison, in der landauf, landab die allzu menschlichen Götter gefeiert werden (und man verzeihe mir die vermutlich unvollständige Aufzählung): Berlin (Staatsoper), Chemnitz, Düsseldorf, Leipzig, Minden (!), Oldenburg, ferner Brisbane (als «volldigital» angekündigt), Budapest (konzertant), Chicago, Paris (unter der Regie von Calixto Bieito) – und natürlich: Bayreuth. Ausserdem wird der Ring absehbar, wenn auch vorerst nur im Rheingold geschmiedet in: Coburg, Dresden, Kassel, Passau, Saarbrücken, Würzburg; Aachen erzählt ihn neu mit einem Triptychon (Hagen, Siegfried und Brünnhilde) – «und wer ihn nicht hat, / nage der Neid!». Sogar die Augsburger Puppenkiste hat sich der Saga neuerdings angenommen. Also Obacht Grosseltern: Dem begeisterten Nachwuchs schon jetzt im Festspielhaus Karten für übermorgen vorbestellen!
Warum aber sind nur alle in «des Zaubers Macht» geraten? Warum so viele Intendanten Alberichs Fluch erlegen? Ist es die sich in der Götterdämmerung widerspiegelnde nordische Ragnarök, die plötzlich so aktuell anmutet? Steht also die Welt, genauer: die Erde (einmal wieder) so dicht am Abgrund, dass die Stunde der Endzeitszenarien aus Hass, Gewalt, Niedertracht und Verrat geschlagen hat? Denn fast scheint es bereits, als würden die allabendlichen Nachrichten den alten Katastrophen-Blockbusters à la Hollywood den Rang ablaufen, nur dass an deren Ende meist ein lieto fine stand. Ist es eine um sich greifende Dystopie, wie sie sich gerade auch fürs Sommerkino mit Endzeit – Ever After (D 2018) ankündigt – hier nur in einer grandios ausgeleuchteten Natur, die sich den Menschen zurückerobert?
Wagners Vision vom Ende hat schon viele Meter an Literatur hervorgebracht, vertiefende Exegesen, aber auch strafrechtliche Ausführungen, in denen die Taten der Protagonisten juristisch aufs Korn genommen werden; ungeschoren kommt dabei kaum einer davon. Doch auch jede Inszenierung hat ihre eigene Sichtweise, die mehr oder weniger überzeugt. Den legendären Kieler Ring von Kirsten Harms noch vor Augen, hat nun auch Daniel Karasek in gleicher Funktion am selben Haus seine Deutung herausgebracht – mit agilen Höhepunkten (Rheingold), aber auch kühlen Brüchen (zwischen Walküre und Siegfried). Die orchestralen Vor- und Zwischenspiele wurden von Konrad Kästner in teilweise faszinierender Weise filmisch unterfangen – von einem markanten Zitat (aus 2001: Odysee im Weltraum), einer herzrasenden nächtlichen Hetzjagd, über eine atemraubende Fahrt zwischen den Welten bis hin zu deren sich wie ein Geschwür verbreitendem dunklem Ende. Schade nur, dass gerade in der Götterdämmerung diese mächtigen Bilder keine Fortsetzung fanden, sondern Siegfrieds Trauermarsch wie auch das Schlussbild mit allzu leichter Hand hingeworfen wirkten. Die Philharmoniker spielten sich an den vier Abenden bei aller dynamischen Präzision in einen Rausch, bis mit dem letzten Akkord nicht nur der Hauch einer Utopie hörbar und sichtbar wurde, sondern auch der langjährige GMD Georg Fritzsch unter dankend-jubelndem Applaus seinen Abschied aus der Fördestadt nahm.
Ihr
Michael Kube
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- Foto: mku
- Großer Abschied nach der Götterdämmerung