Corona, Musik und der Fernunterricht
Wie alle Bildungsinstitutionen waren auch die Musikschulen im Frühling einer neuartigen Situation ausgesetzt. Der Schulstart bot die Gelegenheit, eine erste Bilanz zu ziehen
Jean-Damien Humair — Die Musikschulen stellten ihr Programm in ausserordentlicher Geschwindigkeit auf Fernunterricht um. Sie suchten und fanden individuelle Lösungen. "Alle Lehrpersonen haben fantastische Arbeit geleistet", sagt Blaise Héritier, Leiter der Ecole Jurassienne et Conservatoire de Musique (EJCM). Dies bestätigt auch Lionel Friedli, Leiter der Musikschule Biel. "Es war berührend zu sehen, wie intensiv sich die Lehrpersonen um den Kontakt mit ihren Schülern bemühten. Die Älteren und technisch weniger Erfahrenen gingen dabei mit gutem Beispiel voran, einige von ihnen liehen sich von anderen Computer aus, damit sie ihre Schüler möglichst schnell wieder sehen konnten."
Die Lösung des Fernunterrichts wurde sowohl von Eltern als auch von den Schülern rasch akzeptiert. Von 1000 Schülern hätten nur 9% nicht daran teilgenommen, sagt zum Beispiel Blaise Héritier.
Auch musikalisch ziehen die Befragten eine positive Bilanz. Zahlreiche Schüler hätten grosse Fortschritte gemacht – unerwarteterweise zum Beispiel in der Gehörbildung. Philippe Krüttli gibt jedoch zu Bedenken, dass vor allem die fortgeschrittenen Schüler profitiert hätten, die auch sonst mehr Zeit zur Verfügung hatten. Andere wären in ihrer Übungspraxis vielleicht selbstständiger geworden – für die Kleineren sei es allerdings schwierig gewesen. "Für sie ist die Begleitung der Eltern ausschlaggebend."
Eine Lösung für die Zukunft?
Jean-Claude Reber vom Conservatoire de Montreux-Vevey-Riviera fasst seine Gedanken folgendermassen zusammen:
"Der Fernunterricht bietet klare Vorteile.
1) Die Schüler werden unter der Woche besser begleitet, und übernehmen mehr Verantwortung für das, was sie zuhause üben
2) Sich aufzunehmen und zu filmen ist für viele Schüler eine bereichernde Erfahrung
3) Hilfreich sind die Aufgaben und schriftlichen Kommentare, die jederzeit konsultiert werden können
4) Die häufig vergebenen Recherche-Aufgaben im Internet können ein allgemeines Interesse an Kultur und Musik wecken"
Selbstverständlich gibt es in Sachen Fernunterricht auch Stolperfallen. Dazu gehören Folgende:
1) Es kann nicht am Klang gearbeitet werden
2) Die Schüler sind isoliert, der Kontakt zwischen den Schülern und die Vortragsübungen fehlen
3) Die Möglichkeit des Zusammenspiels von Lehrperson und Schüler fällt weg
4) Die Lehrpersonen leisten Überstunden
5) Ziele wie Projekte, Vortragsübungen, Prüfungen fallen weg – dies kann sich negativ auf die Motivation der Schüler auswirken
Alle Befragten Schulleiter*innen sind sich darin einig, dass der Fernunterricht interessante Möglichkeiten bietet – den Unterricht vor Ort aber nicht ersetzen kann.
"Der menschliche Kontakt, das Zusammenspiel und die Klangerfahrung gehören zum Musikunterricht dazu", sagt Carol David von der Ecole sociale de musique Morges.
Zum Semesterstart bereitet der Rückgang an Anmeldungen Sorgen. Da Konzerte und Instrumentenvorstellungen im Frühling abgesagt wurden, sind neue Ideen gefragt, um Schüler für den Instrumentenunterricht zu begeistern – und dies in einer aktuell noch unvorhersehbaren Situation im Herbst und Winter.