Musikalisches Arbeiten mit älteren Menschen
Die Dokumentation «Musik ist mein Leben – Vier Portraits zum Musiklernen im Seniorenalter» zeigt das Musizieren in der Gruppe als eine erfüllende und für das Wohlbefinden im Alter bedeutende Aktivität.
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- Foto: Roman Vital © Hochschule Luzern - Musik
- Die Gruppe «Kaleidoskop» der proMusicante Rapperswil
Marc Brand – Die von einer Forschergruppe der Hochschule Luzern und klubkran realisierte Filmproduktion wurde bereits im Mai im «stattkino» Luzern der Öffentlichkeit vorgestellt. Das unter anderem durch den VMS unterstützte Projekt startete im Herbst 2016 und zeigt die Potenziale, die ältere Menschen für das Musiklernen besitzen, aber auch die Bedürfnisse nach sozialen Kontakten, die Pensionierte über das gemeinsame Musizieren pflegen.
Das Musiklernen und Musizieren im Seniorinnenalter wird an der Hochschule Luzern seit 2010 als strategischer Forschungsschwerpunkt verfolgt. Ergebnisse dieser Arbeiten fliessen laufend in Lehre und Weiterbildung ein. In einer ersten Studie wurden Seniorinnen und Instrumentallehrpersonen befragt, um Bedürfnisse und Anforderungen an den Instrumental- und Gesangsunterricht zu erkunden (Marc Brand, 2014: «Musikalisch aktiv bis ins Alter»). Dabei erwies sich bei den älteren Menschen – neben dem individuellen Musikinteresse – das gemeinsame Musizieren als starker Motivationsfaktor, der in einem Folgeprojekt näher untersucht werden sollte. Ein solches Projekt – so die selbstgesetzte Vorgabe – sollte einen vertieften Einblick in unterschiedliche Formen des Gruppenmusizierens geben, ferner die Beteiligten für sich sprechen lassen und schliesslich andere Adressaten und Lehrpersonen mit Interesse am Musiklernen direkt ansprechen. Um diese Ziele zu erreichen, erwiesen sich Beobachtungen und Filmportraits von Fallbeispielen und Interviews mit den Mitgliedern der ausgewählten Gruppen als das geeignetste Mittel.
In der auf Dokumentarfilme spezialisierten Zürcher Produktionsgesellschaft «klubkran» wurde eine bestausgewiesene Partnerin zur Realisierung des filmischen Teils gefunden. Zur Darstellung der Vielfalt von Gruppen konnten ganz unterschiedliche Formationen für ein Portrait gewonnen werden: die unter der Leitung von Thomas Heid spielenden Saxofongruppen «Silverhorns» und «Greenhorns» aus dem Raum Basel, deren Mitglieder sich als Neulernende an ihr Instrument gewagt hatten; die von Oliver Holzenburg gecoachte Volksmusikgruppe im ländlichen Sarnen, bestehend aus fünf Frauen; und das Ensemble «Kaleidoskop» der auf das Musiklernen im Seniorinnenalter ausgerichteten Stiftung «proMusicante» in Rapperswil mit seinem musikalischen Leiter Urs Krienbühl. Die erfolgreiche Integration eines an fortgeschrittener Demenz erkrankten Geigenspielers in der Gruppe «Kaleidoskop» wurde dann in einem zusätzlichen Filmportrait dargestellt.
Hohe Motivation und Leidenschaft
Die Filmportraits zeigen das Musizieren in der Gruppe als eine erfüllende und für das Wohlbefinden im Alter bedeutende Aktivität. Sicht- und hörbar werden die Potenziale, die ältere Menschen für das Musiklernen besitzen, aber auch die Bedürfnisse nach sozialen Kontakten, die Pensionierte über das gemeinsame Musizieren pflegen. Die Mitwirkenden äussern sich in den Filmen über ihre Leidenschaft für die Musik, die Herausforderungen des Übens, die grosse Motivation zur Erreichung musikalischer Ziele, dann jedoch auch zu fundamentalen Sinnfragen, die sich als ältere, mit reicher Lebenserfahrung ausgestattete Menschen stellen. Die Filme möchten ältere Menschen, die sich das Musiklernen im Alter nicht zutrauen, zu einem Einstieg in die Musik ermuntern, Musikschulen zur Schaffung spezieller Angebote anregen sowie Musiklehrpersonen auf den interessanten Unterricht mit älteren Lernenden aufmerksam machen. Zu den Filmen wurde ein Begleittext verfasst mit vertiefenden Informationen zum Musiklernen im Seniorenalter. Die Filme sind mit deutsch- und mit französischsprachigen Untertiteln versehen.
Zukunftsträchtiges Berufsfeld für Musikschulen
Mit Blick auf die demografische Entwicklung ist in den kommenden Jahren ein Anstieg der Gruppe bildungsorientierter Seniorinnen und Senioren zu erwarten. Es ist davon auszugehen, dass Musiklernangebote von diesen Menschen häufiger nachgefragt werden, womit sich dieses Musiklernen zu einem für Instrumental- und Vokallehrpersonen bedeutenden Berufsfeld entwickelt. Jedoch längst nicht alle Seniorinnen können sich einen vergleichsweise teuren Einzelunterricht leisten, weshalb sich das Musiklernen in Gruppen als ideale Alternative anbietet. Immer mehr Musikschulen schaffen denn auch niederschwellige, flexibel und auf die Erfordernisse von Seniorinnen ausgerichtete Ensemblekurse. Durch regionale Zusammenarbeiten unter den Musikschulen, aber auch mit Alterseinrichtungen, können in verschiedener Weise Synergien geschaffen werden. Mit diesem Ziel gründeten beispielsweise die Musikschulen Emmental eigens eine Musikakademie. Die am Seniorenmusizieren interessierten Musiklehrpersonen der beteiligten Musikschulen finden sich dabei zu Teams zusammen, besuchen gemeinsam entsprechende Fortbildungen, nehmen Erfahrungen und Kompetenzen aus nicht-musikpädagogischen Bereichen auf und entwickeln Konzepte für verschiedene musikbezogene Bedürfnisse im Seniorenalter. Das in jüngerer Zeit vermehrt in den Fokus von Bildungsfachleuten gerückte personalisierte Lernen ist gerade für die den Gesetzen des freien Bildungsmarktes unterliegenden Musikangebote für Senioren von Bedeutung.
Therapeutische Wirkung bei pflegebedürftigen Menschen
Leicht geht vergessen, dass Bildungsbedürfnisse von Seniorinnen und Senioren nicht vor dem Eingang zur Alterseinrichtung haltmachen. Die Praxis zeigt eindrücklich, wie bedeutsam sich das aktive Musizieren für den einzelnen, pflegebedürftigen Menschen, aber auch für die gesamte Alterseinrichtung erweisen kann. Und selbst an fortgeschrittener Demenz Erkrankten ermöglicht das Musiklernen und Musizieren ein vergleichsweise hohes Mass an Lebensqualität, wie in der Filmdokumentation aus dem «Fokus Demenz» eindrücklich hervorgeht. Positive Auswirkungen musikalischer Aktivitäten pflegebedürftiger Seniorinnen und Senioren zeigen sich in einer Abnahme depressiver Verstimmungen, in entspannten Abläufen in der Pflege und im wertschätzenden Umgang untereinander. Dass damit Kosten eingespart werden können, etwa durch die reduzierte Medikamentenabgabe oder durch eine geringere Fluktuation beim Pflegepersonal, dringt immer mehr auch zu den Leitungsverantwortlichen von Alterseinrichtungen durch.
Damit rückt das spezifische Berufsprofil der Musikgeragogik, also der musikbezogenen Arbeit mit pflegebedürftigen Menschen im Seniorenalter ins Blickfeld. Forschungsarbeiten zu Unterstützungsangeboten in Alterseinrichtungen mittels Musik werden in der Schweiz von Sandra Oppikofer am Zentrum für Gerontologie der Universität Zürich durchgeführt. So wird etwa beim «Musikspiegel» mittels Geräuschen und Musikstücken, welche in einem individuell bedeutsamen Zusammenhang mit Lebensepisoden von Demenz betroffenen Menschen stehen, musikbezogene Biografiearbeit geleistet. An diesem Beispiel wird ein Näherrücken von Berufsprofilen wie Musik, Pflege und Soziale Arbeit sichtbar, ein Berufsfeld, das künftig an Bedeutung gewinnen wird. Für diese bildungsbezogene Musikarbeit bietet die Hochschule Luzern – Musik den CAS «Musikgeragogik» an, der Interessierten aus Musikpädagogik, Pflegefachberufen und Sozialer Arbeit offensteht.
Das Filmprojekt wurde durch folgende Institutionen unterstützt: Deutsche Gesellschaft für Musikgeragogik; Gesellschaft Musikgeragogik Schweiz, Verband Musikschulen Schweiz, Stiftung Sonnweid, Bibliothek Pro Senectute sowie Theo Hartogh, Universität Vechta und Hans Hermann Wickel, Fachhochschule Münster NRW.
URL zu den Filmportraits
URL zum Forschungsbericht «Musikalisch aktiv bis ins Alter»; Marc Brand, 2014