Die Aargauer Musikschulen investieren in Qualität 

Handbuch für eine zukunftsfähige Schulentwicklung

Niklaus Rüegg, 24.05.2018

Der Kanton Aargau verfügt über eine fraktionierte Musikschullandschaft mit grossen regionalen Unterschiedlichkeiten. Ein Handbuch macht weitreichende Vorschläge zur Optimierung.

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Valentin Sacher, Präsident der Vereinigung Aargauischer Musikschulen

Niklaus Rüegg – Eigentlich sind heute die Faktoren für ein erfolgreiches Funktionieren einer Musikschule bekannt: es gibt Kennzahlen für Finanzierungsschlüssel, Lohnstrukturen und ökonomisch sinnvolle Mindestgrössen, Anforderungen an die Qualifikation von Leitungs- und Lehrpersonen, Empfehlungen für den anzubietenden Fächerkanon. Es gibt sogar ein Qualitätsmanagementsystem, das speziell für die Musikschulen erarbeitet wurde und einen bald sechs Jahre alten Verfassungsartikel, der eine für alle zugängliche musikalische Bildung von hoher Qualität postuliert.
Die Zeit des Forderns sei jetzt vorbei, meint Valentin Sacher, Präsident der VAM (Vereinigung Aargauischer Musikschulen), und findet, die Verantwortlichen der ausserschulischen Musikbildung müssten sich jetzt selber an der Nase nehmen. Ende letzten Jahres präsentierte die VAM ein Handbuch zur Schulentwicklung, das über die Kantonsgrenzen hinaus grosse Beachtung fand. Es liefert weitreichende Vorschläge und detaillierte Anleitungen zur Verbesserung der Musikschulen im Kanton. Dieses Handbuch orientiert sich an der Struktur des VMS-Qualitätsmanagementsystems quarte und vereinigt gesamtschweizerisch gültige Standards, die auf die Aargauischen Musikschulen zugeschnitten sind. Wer die Standards umsetzt, wird sich mit wenig Aufwand nach quarte zertifizieren lassen können.
Der Prozess wird in zwei Etappen verlaufen: in einer ersten Phase bis 2021 sollen an allen Musikschulen einige grundlegende Standards eingeführt werden. Per 2025 wird eine komplette Umsetzung des Regelwerks angestrebt.
Der Perkussionist Valentin Sacher hat vor zehn Jahren die VMS-Schulleiterausbildung an der HKB Bern abgeschlossen und ist Leiter der Musikschulen Rheinfelden/Kaiseraugst und Zeiningen.

Valentin, ist das Handbuch der VAM «Musikschule Aargau 2021» ein Art Rezeptbuch zur Organisation von Musikschulen?
Ja, es ist ein Rezeptbuch für Musikschulen, die überleben wollen. Wir haben von unseren Mitgliedern den Auftrag erhalten, aufzuzeigen, welche Standards eine zukunftsfähige Musikschule zu erfüllen hat. Beim Kanton fragen wir an, was sie uns anbieten können, um unser verkrustetes, kompliziertes System zu erneuern.
2012 haben wir einen Verfassungsartikel bekommen, der auch die Kantone in die Pflicht nimmt. Unser Job ist es jetzt, die Musikschulen so zu reformieren, dass wir professionell auftreten können. Es gibt heute immer noch Musikschulen, an denen das Kommissionspräsidium, die Schulleitung und das Sekretariat in Personalunion von einer fachlich nicht qualifizierten Person geleitet werden und das ehrenamtlich. Es gibt beispielsweise immer noch Löhne, die bis zu 46 Prozent unter der Empfehlung des Kantons liegen.

Was genau ist verkrustet an dem System?
Zum Beispiel, dass der Kanton zwischen dem 6. und 9. Schuljahr pro Kind einige Minuten der Lohnkosten für den Musikunterricht übernimmt und direkt an die Lehrperson zahlt. Die Gemeinde und die Eltern kommen für die Kosten der restlichen Minuten auf. Wir müssen also pro Schüler drei Rechnungen stellen – ein überflüssiger Aufwand. Und das gilt in diesem Kanton seit 1865! Eine weitere Absurdität ist, dass der Sologesangsunterricht als einziges Fach nicht subventioniert wird, mit der Begründung, Gesang werde an der Volkschule angeboten...

Was habt ihr für Verbesserungsvorschläge?
Die unsinnige Beschränkung auf vier Schulstufen sollte aufgehoben und die Subventionen altersunabhängig gestaltet werden. Eine Drittelung der Kosten Kanton/Gemeinde/Schüler wäre sinnvoll. Es muss auch garantiert werden, dass der gesamte Fächerkatalog überall angeboten werden kann. Wenn kleine Musikschulen einzelne Instrumente nicht anbieten können, müssen sie Kooperationen mit grösseren Schulen eingehen.

Wie hoch liegt der Musikschullehrerlohn im Aargau?
Der empfohlene Lohn liegt seit 2005 zwischen dem Primarlehrer- und dem Oberstufenlohn. Er wurde mit dem Arbeitsplatzbewertungssystem ABAKABA im Hinblick auf unseren Berufsauftrag ermittelt. Seitdem fordern wir alle Musikschulen bzw. deren Gemeinden dazu auf, sich diesem Lohnniveau anzupassen.

An der Forderung nach kantonaler Lohngleichheit haben sich schon andere die Zähne ausgebissen...
Wenn eine Gemeinde nicht den gleichen Lohn zahlt, muss der Funktionsbeschrieb angepasst werden, oder es muss eine eigene Arbeitsplatzbewertung durchgeführt werden. Dann habe ich kein Problem mit unterschiedlichen Löhnen. Aber wir müssen uns zwingend nach einem evaluierten Referenzrahmen richten.

Für welche «sinnvollen Zusammenschlüsse» von Musikschulen setzt ihr euch ein?  Es gibt eine Mindestgrösse, die vernünftig und rentabel ist. Die Sekretariate kleinerer Schulen sind oft nur ein paar Stunden pro Woche besetzt und telefonisch kaum zu erreichen und die Schulleitungspensen sind absurd niedrig. Wir benutzen ein erprobtes Tool zur Berechnung von Schulleitungs- und Sekretariatspensen, das uns genau sagt, wie viele Stellenprozente für welchen Aufwand angemessen sind. Als ich anfing, hatten wir im Aargau über 90 Schulen. Heute sind es noch 73. Unser Ziel ist es, in sieben Jahren noch 30 bis 40 professionell geführte Musikschulen zu haben, von denen alle mit adäquaten Stellenprozenten geleitet werden.

Was geschieht jetzt als Erstes, damit die Ziele 2021 erreicht werden können?
Wir ermutigen die Schulleitenden, mit ihren Gemeinden zu reden. Wir vom Verband leisten dabei Support und bieten unsern Mitgliedern Weiterbildungen an. Ich betone, dass es sich um Empfehlungen handelt. Wir können als Kantonalverband niemand zur Umsetzung zwingen. Aber wenn man unsere Ansprüche erfüllt, geht man konform mit den gesetzlichen Vorgaben und macht sich als Schule fit für die Zukunft.

Was muss geschehen, dass das Erlernen eines Instruments ein selbstverständlicher Teil der Bildung unserer Kinder wird?
Der Weg führt über die Integration des Instrumentalunterrichts in die Stundentafel der Volksschule. Zofingen ist seit zehn Jahren höchst erfolgreicher Vorreiter auf diesem Gebiet. Als direkte Folge dieser Arbeit lernen dort inzwischen rund 65 Prozent aller Primarschüler ein Instrument! Wir arbeiten daran, dieses Modell kantonal einzuführen.
Ich bin aber auch überzeugt, dass es Innovationen in den Lehr- und Lernformen braucht, vor allem auch bei den niederschwelligen Formen. Weite Schülerkreise erreichen wir im Moment deshalb noch nicht, weil sie sich von unsern, oft als elitär empfundenen, Angeboten nicht angesprochen fühlen.