FMB 2016: Christoph Deluze, Pianist und Arzt
Kann ein Musiker das Eine tun und das andere nicht lassen? Christoph Deluze kann es, weil er beides mit Leidenschaft tut und zwar sieben Tage in der Woche.
-
- Foto: J.Deluze
- Die Tugenden Genauigkeit und Bescheidenheit hat Christoph Deluze von der Medizin gelernt.
Mit Disziplin und Leidenschaft sind zwei Karrieren gleichzeitig möglich
Niklaus Rüegg – Der kleine Christoph wollte eigentlich Geige spielen, aber seine Eltern schickten ihn zu einem befreundeten Klavierlehrer. Fortan war der Junge nicht mehr vom Klavier zu trennen. Nach ein paar Monaten spielte er Sonaten von Beethoven und sein Lehrer konnte ihm bald nichts mehr beibringen.
Nach seiner pianistischen Grundausbildung am Conservatoire de Neuchâtel ging Deluze achtzehnjährig an die Guildhall School of Music in London. Bei Dagobert Buchholz in Wien perfektionierte er später insbesondere das russische Repertoire, zu dem er eine spezielle Liebe entwickelte. Unter seinen Einspielungen finden sich sämtliche Préludes für Klavier von Dimitri Kabalevsky und die weltweit erste Aufnahme der Klavierstücke von César Cui.
Der Jahrhundertpianist Wilhelm Kempff – selber stark an Biologie interessiert – riet ihm, sich mit Naturwissenschaften zu beschäftigen. Er begann sich für Medizin zu interessieren und unterbrach die eben erst gestartete Karriere als Konzertpianist zugunsten eines Medizinstudiums. Heute arbeitet der Spezialarzt für Allergologie und Rheumatologie von Montag bis Donnerstagmittag in seiner Praxis und von Donnerstagnachmittag bis Montag früh als Pianist. Diese Trennung vollzieht er kategorisch zu 100 Prozent. Der Wechsel vom einen zum andern sei nicht immer leicht aber gleichzeitig ungeheuer bereichernd.
Christoph Deluze spricht am FMB 2016 zum Thema « la musique enrichie la vie , und spielt 4 Transkriptionen für Klavier von J.S. Bach, Le fils de l’étoile von Erik Satie sowie und Dimitri Kabalevskys 10 Préludes aus op. 38.
Herr Deluze, wie kommt es, dass Sie gleichzeitig zwei anspruchsvolle Berufe ausüben? Können Sie sich nicht für einen entscheiden, oder lassen die beiden Sie nicht los?
In Französisch sagt ein Sprichwort: «choisir c’est renoncer». Für mich waren Musik und Medizin seit meiner Jugend zwei Leidenschaften, und ich wollte auf keine der beiden verzichten: «Le cœur a ses raisons que la raison ne connaît point» (Blaise Pascal).
Ihr Wochenplan sieht nach sieben Tagen non-stopp Arbeit aus. Da muss viel Disziplin und Leidenschaft dabei sein…
Ja mein Wochenplan ist schon ziemlich gefüllt! Er erlaubt nicht viele andere Hobbies und soziale Anlässe. Wie Sie es richtig formulieren, braucht es vor allem Disziplin und Leidenschaft. Ich habe zudem das Glück dass meine Ehefrau Jacqueline diesen Lebensstil akzeptiert und mich unterstützt!
Halten Sie Ihr zweigeteiltes Berufsmodell für nachahmenswert?
Sicher nicht! Das ist eine rein persönliche Angelegenheit. Es gibt sicher Leute, die mein Berufsmodell als «unprofessionell» einstufen. Ich sehe das anders: Medizin ist heutzutage keine absolute Wissenschaft, denn im grossen Ganzen ist das Rätsel des Lebendigen unerforscht. Daher bleibt Medizin eher eine Kunst, « l’art médical », die vor allem Kreativität, Empfindlichkeit und Einfühlungsvermögen erfordert – alles auch wichtige Eigenschaften für ein sinnvolles Ausüben der Medizin.
Sie sprechen am FMB über das Bereichernde von Musik und Leben. Welche Bedeutung hat dieser «Reichtum» für Sie?
Ein Leben ohne Musik ist einfach unvorstellbar. Musik beinhaltet alle Gefühle, die ein Mensch in seinem Leben empfinden kann. Heutzutage steht mehr und mehr der Leistungsdrang an erster Stelle. Deshalb sollte jeder Musiker darauf achten, dass sein Bestreben nach technischer Perfektion nicht die Emotionen verdrängt. Um dem Zuhörer Gefühle vermitteln zu können, muss der Interpret selbst auch solche erleben können. Deshalb ist für mich der tägliche Umgang mit leidenden und genesenden Menschen eine grossartige Gelegenheit, in die Welt der Gefühle einzudringen.
Das Ausüben der Medizin hat mir zwei wichtige Prinzipien beigebracht: Genauigkeit und Bescheidenheit. Diese beiden Dinge gehören zu den notwendigen Wurzeln eines verantwortungsvollen Lebens. Musik ist Leben!