Das Erforschen menschlicher Entscheidungsprozesse ist zentraler Gegenstand in der Bildungsforschung. 

FMB 2016: Kompetenzen lehren statt Fakten büffeln

Niklaus Rüegg, 13.10.2015

Die Menge an Informationen, denen wir täglich ausgesetzt sind, ist in geradezu unvorstellbarem Masse gestiegen und steigt noch immer. Die Kompetenz mit Informationen und Risiken adäquat umzugehen, kann lebenswichtig sein.

Image
«In der musikalischen Bildung ist das Prinzip, das Individuum mit Fähigkeiten zum eigenen Handeln auszustatten grundsätzlich schon sehr tief verwurzelt.»

Das Erforschen menschlicher Entscheidungsprozesse ist zentraler Gegenstand in der Bildungsforschung.

Niklaus Rüegg – Am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung untersuchen Wissenschaftler Gesetzmässigkeiten menschlicher Entwicklungs- Bildungs- und Entscheidungsprozesse. Malte Petersen, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre (insbesondere Personalführung und Organisation) der Fern-Universität Hagen und Gastwissenschaftler in der Forschungsgruppe Adaptives Verhalten und Kognition am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, beschäftigt sich zum Beispiel mit den Fragen, wie der Mensch Entscheidungen unter Unsicherheit trifft und wie er in der modernen technologischen Welt mit Risiken umgeht. Am Forum Musikalische Bildung FMB am 22. Und 23. Januar 2016 in Baden referiert er zum Thema «Innovation birgt Risiken: über die Art, die richtigen Entscheidungen zu treffen und was das mit Musik zu tun hat.»

 

Herr Petersen, wie trifft der Mensch Entscheidungen?

Das ist ganz unterschiedlich und hängt vor allem von der Entscheidung oder besser gesagt von der jeweiligen Situation ab, in der eine Entscheidung getroffen wird. Dabei spielen oft nicht nur objektive Fakten, sondern vor allem auch Emotion und Intuition eine zentrale Rolle.

 

Wir müssen ständig Entscheidungen treffen, ohne die nötigen Entscheidungsgrundlagen zu kennen. Was kann der Mensch tun, damit er Risiken richtig einzuschätzen und mit Unsicherheiten umzugehen lernt?

Das richtige Verständnis und damit der Umgang mit Risiken gehört leider noch immer nicht zum klassischen Bildungskanon. Daher verlassen sich Menschen bei komplexen Entscheidungen häufig auf das Urteil von Experten. Dies muss nicht unbedingt schlecht sein, wenn ein Experte unabhängig und ohne Interessenkonflikte agieren kann. Viel zu oft ist allerdings diese Voraussetzung leider nicht gegeben und wir können uns daher nicht darauf verlassen, dass ein Experte wirklich Entscheidungen in unserem Sinne empfiehlt. Es ist daher absolut notwendig, dass wir eine eigene Kompetenz im Verständnis und Umgang mit Risiken entwickeln. Das schließt insbesondere das richtige Verständnis entsprechender Statistiken als auch deren eigenständige Bewertung mit ein.  

 

Was von Ihren Erkenntnissen kann man auf die Bildung übertragen?

Auch wenn dies vielleicht nicht auf den ersten Blick ersichtlich wird, spielt Bildung eine ganz zentrale Rolle in unserer Forschung, was nicht zuletzt ja auch an dem Namen Max-Planck-Institut für Bildungsforschung deutlich wird. Auf den zweiten Blick sieht man dann aber, wie eng unsere Forschungsthemen mit der Bildungsfrage verknüpft sind. Zunächst einmal geht es darum zu verstehen, wie Menschen Entscheidungen treffen. Hier sind wir also in einer rein beschreibenden Dimension. Durch die Beschreibung lernen wir allerdings, auf welche Informationen und Mechanismen Menschen zurückgreifen, wenn sie Entscheidungen treffen. Dieses Wissen um Entscheidungsprozesse lässt sich dann nutzen, um entsprechende Bildungsmöglichkeiten zu entwickeln, wie beispielsweise intuitiv erfassbarer Darstellungsformen von statistischen Informationen.

 

Auf Grund welcher Erkenntnisse und Erwartungen werden im Bildungssektor Innovationen und Reformen durchgeführt?

Eine zentrale Schlussfolgerung ist, dass es in Zukunft weniger darum gehen darf, Fakten auswendig zu lernen, als vielmehr, Kompetenzen zu entwickeln, um eigenständig Informationen verstehen und bewerten zu können. Der Anspruch einer Lehrkraft sollte daher sein, vor allem Methoden für den Umgang mit Informationen zu lehren. Und dies sollte natürlich möglichst frühzeitig geschehen. Dass eine frühe Bildung im Umgang mit Informationen und insbesondere Risiken sehr erfolgversprechend ist, konnten einige Kolleginnen und Kollegen unseres Instituts kürzlich in einer sehr aufschlussreichen Studie zeigen. So haben sie durch die Verwendung passender Darstellungsformen möglich gemacht, dass Grundschüler statistische Probleme lösen konnten, an denen viele promovierte Ärzte gescheitert sind.

 

Was haben diese Dinge mit der musikalischen Bildung zu tun?

Bisher ging es viel darum, statt Faktenwissen vor allem Fähigkeiten zu lehren. In der Musik ist das ganz ähnlich – ich gehe ja nicht zum Musikunterricht, um danach ein konkretes Stück spielen zu können, sondern weil ich die Fähigkeit erwerben möchte, ein Instrument zu spielen. Natürlich geschieht die Vermittlung dabei auch an Hand konkreter Stücke. Aber wenn erst einmal die grundsätzlichen Fähigkeiten erlernt sind, ist ein Musikschüler in der Lage, sich eigenständig neue Stücke zu erarbeiten oder mit seinem Instrument sogar ganz neue Formen des Musizierens, wie beispielsweise die Improvisation oder sogar die Komposition zu entdecken. In der musikalischen Bildung ist also das Prinzip, das Individuum nicht mit vorgefertigten Einstellungen zu bevormunden, sondern mit Fähigkeiten zum eigenen Handeln auszustatten grundsätzlich schon sehr tief verwurzelt.

 

Wie können und müssen hier Risiken eingegangen werden, und wie steht es mit den damit verbundenen Unsicherheiten?

Das ist eine Frage, die sicherlich die Musiklehrer als Experten der musikalischen Bildung selbst am besten beantworten können. Als offensichtliche Risiken für die musikalische Bildung sehe ich vor allem die Konkurrenz durch andere Freizeitangebote, die es früher in diesem Maß sicher nicht gegeben hat und die nun einen großen Teil der Zeit und Aufmerksamkeit von Musikschülern beanspruchen. Gleichzeitig ist die Zeit und Aufmerksamkeit die eine musikalische Ausbildung verlangt nicht geringer geworden. Dies mag dazu führen, dass man sich heute bewusster für eine musikalische Ausbildung entscheiden muss. Darin liegt eine Herausforderung aber sicherlich auch eine grosse Chance für die musikalische Bildung und damit auch die Musikschulen.