8. FMB 2016 

Bildungsgüter weitergeben

Niklaus Rüegg, 21.06.2015

Der bekannte Psychoanalytiker Allan Guggenbühl wird am nächsten FMB im Januar 2016 ein Referat über die Herausforderungen der Bildung für die Generation von morgen halten.

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«Bildungsreformen beruhen auf den Zukunftsvorstellungen der Alten und nicht auf den Bedürfnissen oder Visionen der Jungen.»

8. Forum Musikalische Bildung 2016

Niklaus Rüegg – Am FMB 2016 werden sich eine Reihe von namhaften Referenten zu Innovation und Wandel in der Bildung äussern. Der Musiker, Psychologe und Psychoanalytiker Allen Guggenbühl ist ausgebildeter klassischer Gitarrist und hatte, bevor er an der Uni Zürich Psychologie studierte, als Gitarrenlehrer gearbeitet. Er ist Leiter der Abteilung für Gruppenpsychotherapie für Kinder und Jugendliche an der kantonalen Erziehungsberatung der Stadt Bern und Direktor des Instituts für Konfliktmanagement in Zürich. Guggenbühl ist als analytischer Psychotherapeut mit eigener Praxis und als Professor an der Pädagogischen Hochschule Zürich tätig. Der Autor zahlreicher Publikationen zu den Themen Konfliktmanagement, Gewaltprävention, Bildung sowie Jungen- und Männerarbeit befürwortet eine Bildung, die sich auf Inhalte und deren Vermittlung konzentriert und steht der «Reformitis» im Bildungswesen kritisch gegenüber.

Herr Guggenbühl, Sie beschäftigen sich schon seit vielen Jahren mit dem Thema Kinder- und Jugendgewalt. Hat die Gewalt Jugendlicher einen Zusammenhang mit deren Bildung?
Ja, aber keine ursächliche. Jugendliche, die sich die Mühe nehmen, sich eine Bildung anzueignen und die dazu notwendigen Bildungsinstitutionen zu durchlaufen, können sich besser kontrollieren und anpassen. Sie verstehen es, ihre Energien zu fokussieren und interessieren sich eher für Themen, die sie weiterbringen. Gewalttätige Jugendliche hingegen verlieren sich oft in Szenen, die einen schlechten Einfluss auf sie ausüben. Bildet sich ein Jugendlicher, dann drückt dies eine andere, positivere Haltung aus. Eine Neigung zu Gewalt ist jedoch auch bei ihnen vorhanden. Wenn Gewalt durch das System oder die herrschende Moral legitimiert wird, dann drohen wir alle gewalttätig zu werden. Gewalt ist ein Grundverhaltensmuster des Menschen.

Was kann und muss sich wandeln in der Bildung und was sollte bleiben?
Bildung ist wichtig. Sie legitimiert sich durch Vorstellungen über die Zukunft und inszeniert deshalb den Wandel. Man will die nächste Generation auf die Zukunft vorbereiten und vermittelt Bildungsinhalte, von denen man annimmt, dass sie in der Zukunft wichtig seien. Das Problem ist jedoch, dass niemand weiss, wie die Zukunft aussieht. Bildungsreformen beruhen auf Annahmen, den Zukunftsvorstellungen der Alten und nicht auf den Bedürfnissen oder Visionen der Jungen.
Bildung ist im Prinzip etwas Simples: ältere Leute mit Wissen und Erfahrung geben ihre Bildungsgüter an die Jungen weiter. Bildung ist also immer veraltet. Wichtig ist der Vermittlungsakt. Hier kommt es auf menschliche Dinge an wie: ist eine Beziehung da? Wird die Lehrperson akzeptiert? Ist Inspiration und Begeisterungsfähigkeit dabei? Hat der junge Mensch das Gefühl, dass der Ältere etwas zu sagen hat, das sein Leben erweitert? Methodik, Lern- und Lehrformen sind sekundär. Die Jungen übernehmen die Inhalte der Alten, lehnen sie ab oder ordnen sie in ihre Lebenswelt ein und machen etwas Eigenes daraus.

Was muss nach heutigem Erkenntnisstand geschehen, damit passende Antworten für die Zukunft gefunden werden können?
Bildung darf nicht eine Unterwerfungsinstitution der Jungen durch die Alten sein, sondern sollte Beziehung und Auseinandersetzung fördern. Schule sollte ein Ort des Dialogs und der Streitgespräche sein. Bildung sollte interaktiv vermittelt werden: die Alten verkünden ihre Weisheiten und Einsichten, die Jungen hören sie sich an und bilden sich ihre Meinung dazu. Eine unkritische Übernahme von Bildung ist sehr problematisch. Leider ist dies im Rahmen der Bologna-Reform und der Ausrichtung der Schule auf PISA geschehen. Hier werden messbare Kompetenzen getestet. Ein Beispiel ist die Definition der Lesekompetenz, welche anhand von Fliesstext geprüft wird, dessen Inhalt der Schüler möglichst genau reproduzieren muss. Dies entspricht nicht der im deutschsprachigen Raum gepflegten Tradition, über Texte zu reden, zu reflektieren und debattieren. Solche Tests sind fiese Tricks der Alten, um von den Jungen Anpassung zu erzwingen.

Welche Aufgabe hat denn Bildung: auf die realen Herausforderungen des Lebens vorzubereiten oder intellektuelle, soziale und musische Kompetenzen zu vermitteln?
Bildung muss immer lebensfremd sein. Aufgabe der Bildung ist es, das konservierte Wissen weiterzugeben. Wenn sie versucht, sich dem Leben anzupassen, wird es meistens peinlich. Um das Leben zu meistern, braucht es eine sogenannte «working intelligence». Diese arbeitspraktische Intelligenz setzt sich zusammen aus vielen verschiedenen Komponenten und nicht nur aus einer messbaren, standardisierten Intelligenz. Wenn die Schule glaubt, Lebenskompetenzen vermitteln zu können, ist das ein Missverständnis. Die Kompetenz, die Schule vermittelt, ist, wie man mit Lehrpersonen umgeht, oder in Institutionen besteht, die ähnlich wie die Schule organisiert sind. Diese Kompetenz hat mit dem Leben ausserhalb der Schule aber wenig gemein.

Dafür geht man zwölf Jahre zur Schule?
Für viele sind zwölf Jahre tatsächlich zu lang. Bei gewissen Jugendlichen wäre es besser, wenn sie während der Pubertät aussetzen, einer Arbeit nachgehen, reisen würden, bevor sie dann wieder eine Schule besuchen oder eine Lehre beginnen. Die Möglichkeiten der Schule werden überschätzt. Man glaubt, sie müsse für alles verantwortlich sein, wie zum Beispiel Förderung der Sozialkompetenz, Gewaltprävention, Gesundheitsförderung etc.. Zentral ist aber, dass die nächste Generation erfährt, was die vorherige an Wissen angesammelt hat. Die effektiven Antworten müssen jedoch von der nächsten Generation gegeben werden und nicht von den Alten.

Sie sind ausgebildeter Gitarrist und haben früher auch als Musiklehrer gearbeitet. Welche Rolle spielt die musikalische Bildung im Rahmen der gesamten Erziehung?
Die Beschäftigung mit Musik kann ungeheuer anregend und fördernd sein. Musikalische Bildung fängt aber im Alltag an. Man kann zum Beispiel studieren, welche Töne im Alltag toleriert sind. Die Töne unserer Maschinen werden immer mehr verbannt; Autos, Lokomotiven und Flugzeuge werden immer leiser. Das Brummen einer Superconstellation ist heute undenkbar. Wir haben Maschinentöne durch andere ersetzt: in Liften wird einem mitgeteilt in welchem Stock man ist, in den Bahnhöfen werden laut Verspätungen gemeldet und an der Street-Parade wird laut Ausgelassenheit verkündet. Maschinentöne haben uns daran erinnert, dass Energie verbraucht wird, heute stehen die Töne in Zusammenhang mit unserem Verhalten und unseren Stimmungen.

Hat der legendäre Satz des früheren deutschen Innenministers Otto Schily, «Wer Musikschulen schliesst, schadet der Inneren Sicherheit» immer noch Gültigkeit?
Ich würde den Satz so ausweiten: das tonale Element, integriert in der Gesellschaft, führt zu mehr Geräuschen, doch auch zu einer Beruhigung. Musik hat eine unglaubliche Erfolgsgeschichte hinter sich. Die Jugend hört überall und jederzeit Musik, ist verstöpselt, macht selber Musik, Bands werden gegründet mit dem Gefühl, die Welt zu erobern. Die Inbrunst, mit der heute zivilisierter Lärm gemacht wird, ist beeindruckend. Oft wird das Musikmachen von Fantasien getragen und ist ein Mittel, sich in die Welt einzubringen.

 

 

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