Harmonisierung trotz Verschiedenheit
Im Wallis wurde für die drei subventionierten Musikschulen ein harmonisierter Rahmenlehrplan geschaffen. Er ist seit einem Jahr in der Erprobungsphase. Der Flötist Jörg Lingenberg ist Mitglied des dreiköpfigen Redaktionsteams.
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- Foto: J.L.
- "Eine ganze Menge an Grundlagen einer Musikausbildung gilt für alle Musikrichtungen gleichermassen."
Auf die gemeinsamen Grundlagen verständigt
Interview : Niklaus Rüegg
Herr Lingenberg, wann erfolgte der Startschuss zu Ihrer Arbeit?
Ende 2012 mit dem Mandat, diesen harmonisierten Lehrplan zu erstellen. Wir wurden vom Rat der drei beteiligten Musikschulen als Redaktionsteam eingesetzt. Als kleine Rand-Anekdote ist zu erwähnen, dass die deutschsprachige amo einen Romand und das französischsprachige Konservatorium einen Deutschen als Vertreter in der Gruppe eingesetzt haben.
Seit wann gilt der «Harmonisierte Rahmenlehrplan der vom Staat Wallis anerkannten Musikschulen»?
Der Plan ist am 1.3.2014 von den drei Schulen ratifiziert worden. Nun ist es an den drei Schulen, für die schrittweise Einführung der Pläne im praktischen Schulbetrieb zu sorgen. Es geht hier vor allem auch um die Erstellung der spezifischen Rahmenlehrpläne für die speziellen Instrumente. Sie werden von den Plänen der sogenannten Stamminstrumente des HRLP abgeleitet.
Welches waren die Beweggründe, sich an die Realisierung dieses Werks zu machen?
Der Wunsch, dem Staat Wallis zu zeigen, dass die Ausbildung an den drei anerkannten und subventionierten Musikschulen des Wallis, trotz all ihrer Unterschiedlichkeiten einem hochstehenden und harmonisierten Anspruch unterliegt. Damit ist auch der Anspruch verbunden, dass bei gleicher Arbeit an den drei Schulen auch eine gleiche Vergütung der Arbeit der Lehrkräfte wünschenswert ist.
Warum was es notwendig, ausgerechnet diesen drei höchst unterschiedlich gearteten Schulen mit eigenen Kulturen – und dies erst noch in einem zweisprachigen Kanton – einen gemeinsamen Lehrplan aufzudrücken?
Der Staat Wallis hat diese drei Schulen als offizielle Musikschulen anerkannt, und subventioniert sie vorrangig. Daher erwartet er auch, dass sie an einem Strang ziehen und ihre Ausbildungsprinzipien entsprechend harmonisieren. Dass dabei die unterschiedlichen Kulturen und die beiden Sprachen eine zusätzliche Schwierigkeit gebildet haben, ist nicht zu verleugnen. Wir meinen aber, auch im Hinblick auf die oben erwähnte Zusammenstellung der Redaktionsgruppe, letztlich ein allen gerecht werdendes Ergebnis erreicht zu haben.
Welcher Bildungsauftrag der Walliser Musikschulen bildete die Prämisse der Arbeit?
Das Mandat sah vor, das einerseits ein Musikunterrichtsangebot für alle Bevölkerungsschichten und andererseits die Begabtenförderung zu gewährleisten sei.
Welche Aufgaben erhielt die Redaktionsgruppe?
Wir hatten den Auftrag, Rahmenlehrpläne sowohl für die theoretische Ausbildung als auch für die Instrumentalausbildung zu erstellen, die sich – trotz aller Unterschiede in den praktizierten Musikstilen – in allen drei Schulen anwenden lassen.
Auf welche Lehrplan-Vorbilder haben Sie sich bei der Arbeit gestützt?
Wesentliche Impulse haben wir durch die Arbeiten der Konferenz Österreichischer Musikschulen (KOMU) erhalten, die ein sehr eindrucksvolles und umfangreiches Werk geschaffen haben. Ebenfalls waren die verschiedenen Lehrpläne unserer drei Musikschulen ein Ausgangspunkt. Ausserdem haben wir natürlich auch die Lehrpläne der verschiedenen Konservatorien der Suisse Romande eingehend studiert.
Worauf mussten Sie achten, um die Eigenheiten jeder Musikschule zu erhalten?
Das Hauptproblem war, dass wir nicht einfach für alle drei Schulen gleiche Unterrichtsinhalte formulieren konnten. In der EJMA spielt die Improvisation naturgemäss eine viel größere Rolle als in den beiden «klassischen» Musikschulen. Der Theorie-Unterricht wird an romanischen Schulen traditionell aus dem Instrumental-Unterricht ausgelagert und in einer gesonderten Unterrichtseinheit unterrichtet (Solfège, bzw. neuerdings Langage musical), während im deutschsprachigen Raum die Theorie meist in den Instrumentalunterricht integriert wird.
Unser Lösungsansatz bestand darin, im eigentlichen HRLP die beiden Bereiche Lerninhalte und Lernziele für alle Unterrichtsstufen sehr allgemein zu formulieren. In einem, an jeder der drei Schulen zu erstellenden dritten Bereich, werden nun die Referenzstücke und Referenzkompetenzen entsprechend den jeweilig praktizierten Stilen formuliert. Dadurch bleibt den drei Schulen genügend individueller Spielraum. In den oben genannten ersten beiden Bereichen hingegen haben wir versucht, die wesentlichen, allgemeingültigen Punkte bei der Ausbildung von jungen Musikern sehr eingehend zu formulieren, und dies unabhängig von den verschiedenen Stilen.
Die drei Schulen haben bisher keine vergleichbare Stufenprüfungs-Kultur. Hier ist im Hinblick auf eine Harmonisierung noch einiger Diskussionsstoff vorhanden.
Auf welche Gemeinsamkeiten konnte man sich verständigen?
Letztendlich war es, nachdem wir unsere Vorgehensweise gefunden hatten, erstaunlicherweise gar nicht so schwer, uns auf die oben genannten wesentlichen Inhalte einer guten Musikausbildung zu verständigen. Es gibt eine ganze Menge an Grundlagen einer Musikausbildung, die für alle Musikrichtungen gleichermassen gelten. Dies war für uns Mitglieder der Redaktionsgruppe selbst eine sehr bereichernde Erkenntnis!
Auf welche Bereiche der instrumentalen und vokalen Ausbildung haben Sie sich konzentriert?
Wir haben alle Elemente der Musikausbildung in drei Bereiche unterteilt: die künstlerischen, technischen und die theoretischen Aspekte, in leichter Abwandlung der Lernziel-Taxonomie von Bloom (1). Manchmal war diese Zuordnung bei bereichsübergreifenden Punkten nicht eindeutig; in solchen Fällen haben wir dann diese dem Bereich zugeordnet, dem sie am meisten entsprechen.
(1) Taxonomie von Lernzielen im kognitiven Bereich (Vgl.: «Taxonomy of educational objectives», 1974). 5. Auflage. Beltz Verlag, Weinheim 1976, ISBN 3-407-18296-1.
http://de.wikipedia.org/wiki/Benjamin_Bloom
Sie haben den Ausbildungsaufbau in vier Stufen gegliedert: Musikalische Früherziehung, Grundstufe, Mittelstufe und Oberstufe. Inhaltlich wird der Unterricht in künstlerische, technische und theoretische Aspekte unterteilt. Wird die Erreichung der Bildungsziele in Stufentests nachgeprüft?
Wie oben schon erwähnt, sind diese Stufentests Inhalt der aktuellen Diskussion. In den französischsprachigen Schulen existieren schon Stufenprüfungen. In der deutschsprachigen amo sind diese bisher freiwillig. Es besteht die Übereinstimmung darüber, dass bei Stufenübertritten eine Stufenprüfung zu absolvieren sein werde, deren Form wird jedoch noch diskutiert.
Die Einzellehrpläne für Stimme und Instrumente sind sehr detailliert. Wie verbindlich ist dieser Lehrplan in Zukunft für die angeschlossenen Musikschulen?
Auch hier ist der HRLP als ein «work in progress» zu betrachten. Schon bei der Einführung wurde vorgesehen, den HRLP nach einer Einführungszeit von zwei Jahren kritisch zu prüfen, um eventuelle Ungereimtheiten zu verbessern. Es wird sich zeigen, wo wir zu weit vorgeprescht sind, und wo wir Lücken zu schliessen haben.
Wohin wird sich die Musikschulausbildung im Wallis in Zukunft entwickeln? Ist die Erweiterung in Richtung Kunstschule (Theater, Tanz, Malerei und Poesie) ein Thema?
Eine am HRLP beteiligte Schule, das Konservatorium, bietet jetzt schon zusätzlich eine Ausbildung in Tanz und Theater an. Wir haben dieses Thema aber noch nicht in den HRLP mit aufgenommen. Es wird da sicher aber auch ein weitergehender Diskussionsbedarf entstehen.