Hans Martin Ulbrich, Englischhornist und Oboist
Musiker können, entsprechend ihrer Möglichkeiten, weit über das Pensionsalter hinaus auf hohen Niveau musizieren. Ein Sich-Weiterentwickeln vermittelt Lebensqualität.
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- Foto: Niklaus Rüegg
- Im musikalischen Unruhestand.
Eine nahtlose musikalische Karriere bis ins höhere Alter.
Niklaus Rüegg - Als Auftakt zum Symposium der Schweizerischen Gesellschaft für Musikmedizin SMM und der Schweizerischen Interpretenstiftung SIS zum Thema «Musizieren im Alter», interpretierte Hans Martin Ulbrich (75) als Oboist des "Trio Poetico Zürich", zusammen mit seinen Kollegen Heinz Hofer und Florenz Jenny, das Trio für Oboe, Klarinette und Fagott, von Heitor Villa-Lobos, mit einem rezitierten Zwischentext von Manuel Bandeira. Ulbrich gehörte während einundvierzig Jahren dem Tonhalle-Orchester an. Mit dem Musiker-Anekdotenbuch «Ihre Pfötchen waren grossartig ...», derzeit nach dritter Auflage vergriffen, landete er einen Bestseller.
Herr Ulbrich, wir hören, dass im Alter musikalisch immer noch so gut wie alles möglich ist. Hand aufs Herz: spüren Sie das Alter noch nicht beim Musizieren?
In jedem Alter kann es unliebsame Fügungen geben, etwa gesundheitliche Beeinträchtigungen, welche einen zwingen, andere Wege einzuschlagen. Ich bin davon zum Glück weitgehend verschont geblieben. Manches fällt mir übrigens heute leichter als früher im Tonhalle-Orchester.
Sie erleben offenbar eine gradlinige, kontinuierliche musikalische Laufbahn. Gibt es keine Brüche?
Fast gleichzeitig mit meiner Pensionierung starb meine Frau, was mich ungleich mehr traf als das Aufhören im Orchester. Musikalisch ging es nahtlos weiter. Ich habe mich als Kammermusiker betätigt, im In- und Ausland gespielt und unterrichtet, auch Bücher geschrieben. Mit Unterrichten habe ich als Englischhornist und Oboist bereits 1967 am Konservatorium Zürich begonnen. In den letzten Jahren habe ich in Quito/Ecuador, jeweils viermal während zweiwöchigen Zeitabschnitten unterrichtet. Diese Tätigkeit werde ich wohl nicht mehr weiterführen, weil dies für einen betagten Bläser (auf fast 3000 Metern Höhe) doch eher strapaziös ist. Dieses Aufhören empfinde ich tatsächlich als Einschnitt.
Wollen Sie mit Ihrem Trio im «Geschäft» mitmischen?
Von Geschäft kann keine Rede sein. Wir machen das aus Freude, auch, weil wir uns persönlich ausgezeichnet verstehen. Es ist schön, auf ein Ziel hin zu arbeiten und die Resultate präsentieren zu können. Es ergeben sich immer wieder Auftrittsmöglichkeiten, u.a. mit Uraufführungen, und es ist tatsächlich nicht selbstverständlich, zehn Jahre nach der Pensionierung immer noch auf «Tournee» zu gehen. Dabei wollen wir uns nicht mit bekannten Ensembles messen. Aber so lange wir auftreten, muss die Latte des Anspruchs hoch gelegt werden.
Hören Sie oft das «Kompliment»: «Für Ihr Alter spielen Sie noch sehr gut!»
Ich persönlich habe es noch nie gehört, aber man weiss ja nie, was hinter dem Rücken so alles geredet wird, wie auch etwa: «Warum eigentlich muss der oder die immer noch auftreten?» Ich nehme dieses «Kulissengeflüster» aber gelassen.
Gibt es den richtigen Zeitpunkt zum Aufhören?
Am besten ist es, wenn man sich die Grenze selber setzt, möglichst, solange man noch gut spielt, um damit seinen Ruf zu bewahren. Angebracht kann es auch sein, wenn eine Vertrauensperson rechtzeitig einen freundlichen Klartext spricht. Wenn es ums Aufhören geht, ist es wichtig, andere Pfeile im Köcher zu haben. Pläne etwa, die einen, wenn's geht anderweitig weiterführen. Ich selber habe fast zu viele Interessen, weshalb ich schon gefragt wurde: «Wann wirst Du das nächste Mal pensioniert?»
Geht es demnach mehr ums Weitermachen als ums Aufhören?
Ein Weitermachen, besser: ein Sich-Weiterentwickeln und Sich-aktiv-Erhalten (nicht nur als Musiker), ist, wenn es geht sinnvoll, weil es Lebensqualität vermittelt. Dazu eine Alternative für den letzten,
altersbeeinträchtigten Lebensabschnitt: ein gleitendes Geschehenlassen, ein Akzeptieren des Unabwendbaren. Gleiten ist auch ein Begriff, der beim letzten Gang wünscheswert wäre: ohne zu leiden hinüber zu gleiten.