Die aktuelle Gesetzeslage der Musikschulen zeigt ein heterogenes Bild. 

Gesetz ist nicht gleich Gesetz

Niklaus Rüegg, 08.04.2013

Der Zugang zur ausserschulischen musikalischen Bildung ist im neuen Verfassungsartikel 67a klar festgehalten. Die Vorbereitungen zur nationalen Gesetzgebung sind in vollem Gange. Es ist höchste Zeit, einen Blick auf das Abbild der Musikschulen in den kantonalen gesetzlichen Grundlagen zu werfen.


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Die Gesetzgebungen der Schweizer Kantone über die Musikschulen
Legende: 1. Integration in die kantonalen Bildungsgesetze als Schulart (Grün) 2. Integration in die kantonalen Kulturförderungsgesetze (Dunkelgelb) 3. Eigenständige Gesetze über die Musikschulen (Braun) 4. Musikschulen im optionalen Bereich (Hellgelb) 5. Kantone ohne Gesetzgebung über die Musikschulen (Rot)
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Kommunikation ist auch in der Politik entscheidend.

Niklaus Rüegg – Im Verständnis der Initianten und der mittragenden Verbände ist der neue Verfassungsartikel die Grundlage für die Schaffung eines umfassenden nationalen Gesetzes zur Förderung der musikalischen Bildung in der Schweiz. Während in Bern die Experten vom Bundesamt für Kultur zusammen mit den Exponenten der grossen Schweizer Musikverbände einen umfassenden Bericht erarbeiten und sich die Köpfe über mögliche Wege zu einer Bundesgesetzgebung zum neuen Verfassungsartikel «Musikalische Bildung» zerbrechen, schickt man sich allmählich auch in den Kantonen an, über mögliche Konsequenzen für die Musikschulen nachzudenken. Geht man davon aus, dass dereinst ein nationales Musikförderungsgesetz einen verbindlichen Rahmen für die Anerkennung des Bildungsauftrages der Musikschulen schafft, sind zur Vervollständigung die umfassende Verankerung der Musikschulen in den kantonalen Bildungsgesetzen vorzunehmen, bestehende Gesetze zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen.

Die Musikschulen in den kantonalen Gesetzgebungen
Um sich ein Bild zu machen von der Gesetzeslandschaft, in der sich das Schweizerische Musikschulwesen bewegt, hat der VMS per Ende 2012 eine Übersicht zur vorhandenen Gesetzeslage erstellt. Sie zeigt ein äusserst heterogenes Bild. Die kantonalen Gesetzgebungen über die Musikschulen unterscheiden sich erheblich, können aber fünf übergeordneten Kategorien zugeordnet werden. Innerhalb dieser Kategorien sind die Unterschiede immer noch sehr gross. Auffallend ist, dass die Bildungsgesetze von Genf, Luzern und Glarus in den Jahren 2008 bis 2010 entstanden sind, die Musikschulgesetze Bern und Waadt im Jahr 2012.

1. Integration in die kantonalen Bildungsgesetze als Schulart
Die Musikschulen der Kantone Basel-Landschaft (2003), Genf (2010) und Luzern (2010) sind als vollwertige Schulart mit einem Bildungsauftrag in den Bildungsgesetzen verankert. In Baselland und Luzern sind ausserdem die Lehrpersonen ins Personalgesetz des Kantons aufgenommen worden. Die Nähe zur Schule ist durch einen Musikschulbeauftragten im Rahmen der Bildungsdepartemente gewährleistet. Minimalstandards für die Musikschulen sind definiert.

2. Integration in die kantonalen Kulturförderungsgesetze
In den Kantonen Freiburg (1991) und Graubünden (1998) wurden die Musikschulen in die Kulturförderungsgesetze integriert. Die Freiburger Verordnung hält fest, dass das Konservatorium sein Angebot zur Pflege der Kultur auf qualitativ hochstehendem Niveau auszuführen hat. Vom Kollegium werden professionelle Kompetenzen zur Weiterentwicklung der Schule erwartet. Die Nähe zur Bildung ist über gute Kontakte zum Bildungsdepartement gegeben, allerdings besteht eine Angebotsbeschränkung (Zugangssperre). In Graubünden hat die gesetzliche Verankerung, trotz Musikschulbeauftragtem, bis heute nicht zu einer Harmonisierung in den Musikschulen geführt. Die Nähe zur Schule fehlt nach wie vor.

3. Eigenständige Gesetze über die Musikschulen
Drei Kantone haben eigene Musikschulgesetze. In Neuenburg (2006) ist das Unterrichtsziel formuliert, die Waadt (2012) anerkennt die Musikschulen als Bildungsinstitutionen und Bern (2012) formuliert das Bildungsziel der Musikschulen als komplementären Unterricht zur Volksschule. Die Musikschulen müssen Mindestkriterien entsprechen, um die staatliche Anerkennung zu erreichen. Das Personalgesetz dieser Kantone gilt auch für die Musiklehrpersonen, zumindest in Teilen. Die Kantone Bern und Waadt befinden sich in der Umsetzungsphase und Harmonisierungsprozesse sind im Gang. Mit solchen Gesetzen wird dem Bedarf nach Musikschulen als integraler Teil der Bildungslandschaft eines Kantons allerdings nur auf den ersten Blick Rechnung getragen. So ist die Entwicklung der Musikschulen im Gesamtbild der Schulen eines Kantons nicht gegeben und es können stets grundsätzlich andere Regelungen in allen Bereichen getroffen werden. So enthält das Berner Gesetz z. B. eine Plafonierung der Beiträge, was einer Zugangssperre entspricht.

4. Musikschulen im optionalen Bereich
Weitere sechs Kantone verfügen über minimale gesetzliche Verankerungen, zum Teil in den Schulgesetzen (Aargau, Obwalden, Nidwalden, Schaffhausen, Thurgau, Uri), welche einzig die Finanzierung der Musikschulen regelt. Das Führen von Musikschulen liegt im optionalen Bereich und es wird weder ein Bildungsauftrag, noch daraus resultierende umfassende Aussagen zu Standards und Personal festgehalten.

5. Kantone ohne Gesetzgebung über die Musikschulen
Die restlichen Kantone (Appenzell IR, Appenzell AR, Basel-Stadt, Jura, Solothurn, St. Gallen, Schwyz, Tessin, Wallis, Zug, Zürich) sind ohne kantonale gesetzliche Verankerung für die Musikschulen. Leistungsvereinbarungen mit den Gemeinden und Gemeindereglemente regeln den Betrieb dieser Schulen. Die Integration in die kantonale Bildungslandschaft ist erschwert. Die Unterschiede in der Organisation und der politischen Wahrnehmung der Musikschulen als Bildungsinstitutionen variiert stark von Schule zu Schule. Im Kanton Zürich wird zur Zeit ein neues Gesetz erarbeitet.


Unterstützung der kantonalen Bestrebungen
Eine kantonale gesetzliche Verankerung ist nicht von sich aus Garant einer sorgenlosen Zukunft für die Musikschulen, insbesonders was die Finanzierung betrifft. Doch eine Verankerung der Musikschulen als Schulart in den kantonalen Bildungsgesetzen stellt stabilere Weichen bezüglich der Nähe zur Schule und der Entwicklung in der Bildungslandschaft eines Kantons. Die Gestaltung der Musikschulen kann kantonal ganzheitlich angegangen und mit Regelungen, die in anderen Schulbereichen auch gelten, gelöst werden. Verbindlichkeiten gelten für alle Musikschulen eines Kantons und können innerhalb nützlicher Fristen umgesetzt werden. Synergien und Kooperationen mit der Volksschule werden einfacher entwickelt und auf direktem Weg genutzt. Fragen der Standards und der Qualität der Musikschulen, des Berufsauftrages, der Qualifizierung von Musiklehrpersonen und Vieles mehr kommt zur Sprache. Der Einbezug der Musiklehrpersonen in die kantonalen Personalgesetze sorgt für Sicherheit und Transparenz. Eine erfolgreiche Umsetzung dieser gesetzlichen Rahmen verlangt allerdings ein kontinuierliches Engagement der involvierten Berufsleute.

Die Bildungshoheit liegt zwar bei den Kantonen. Da aber die Zuständigkeiten zwischen Kantonen und Gemeinden unterschiedlich gelöst sind, stellt sich die Frage nach der Aufgabenteilung und der Finanzierung. Diesen Kontext gilt es bei der vertieften Analyse der bestehenden und der Entwicklung neuer Gesetze mit zu berücksichtigen. Somit wird sich auch der Weg zur Verankerung der Musikschulen in den kantonalen Bildungsgesetzen von Kanton zu Kanton deutlich unterscheiden.
Eine Arbeitsgruppe des VMS beginnt Anfang April 2013 mit der Erarbeitung eines praktischen Handbuches, das den Kantonalverbänden das Initiieren des Gesetzgebungsprozesses erleichtern soll. Die Mitwirkenden der Arbeitsgruppe kommen aus den Bereichen der Musikschulen, den Kantonalverbänden und der Politik. Punktuell werden sie sich mit weiteren Experten vernetzen. Die Leitung obliegt der Präsidentin des VMS, Christine Bouvard. Sie hatte als damalige Kantonalpräsidentin vor ein paar Jahren in Luzern einen solchen Gesetzesprozess begleitet und zu einem erfolgreichen Ende geführt. Von ihrer Erfahrung wird diese Arbeitsgruppe wesentlich profitieren können.

Das VMS-Dokument zu den «Kantonalen Gesetzgebungen über die kommunalen und regionalen Musikschulen» kann auf der VMS-Webseite in Deutsch und Französisch heruntergeladen werden. Es ist auch in der Online-Ausgabe der SMZ zu finden: www.musikzeitung.ch/vms www.revuemusicale.ch/asem

 


Interdisziplinäre Arbeitsgruppe konstituiert
aw. –Der VMS hat für die Erarbeitung der Grundlagen zur Initiierung des Gesetzgebungsprozesses auf kantonaler Ebene eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe aus Vorstandsmitgliedern und Persönlichkeiten aus den Kantonalverbänden wie auch aus Politik und Behörden eingesetzt. Das Gremium setzt sich aus folgenden Personen zusammen:
Christine Bouvard Marty (Projektleitung), Willy Odermatt (VMS-Vorstand), Andreas Weidmann (VMS-Vorstand), Regula Meschberger (Präsidentin VMBL und Landrätin SP), Théo Gafner (MSL Ecole sociale, Lausanne), Georg Hess (Präsident VMSZ und alt Regierungsrat CVP), Thomas Rüegg (Stadtrat Rapperswil-Jona, Ressort Bildung, Präsident SGV), Valentin Sacher (Präsident VAM).
Die Arbeitsgruppe «Politik» hat sich anlässlich einer Fortbildungsveranstaltung zum Thema «Politische Kommunikation» am 22. Februar 2013 ein erstes Mal zusammen gefunden. Im Zentrum der Tagung standen Fragestellungen rund um die Initiierung von politischen Prozessen und ihre kommunikative Begleitung. Nach dieser theoretischen Vorbereitung nimmt das interdisziplinäre Gremium seine Arbeit Anfang April auf mit dem Ziel, anlässlich der Juni-Delegiertenversammlung einen ersten Überblick über Inhalte und Umfang des Handbuchs geben zu können.
 

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Die Arbeitsgruppe hat sich anlässlich eines Weiterbildungstages zum Thema «Politische Kommunikation» erstmals getroffen.