
«Komponieren, die Hauptsache in meinem Leben»
Gekürzte Rede von Hans Martin Ulbrich, gehalten anlässlich der Verleihung der Ehrenmitgliedschaft des Schweizerischen Musikerverbands an Heinz Marti
Lieber Heinz
Vor langer Zeit sind wir uns als berufliche Weggefährten im Orchester, aber auch im Zürcher Sektions- und Orchestervorstand begegnet. Heute, salopp gesagt in einem anderen Jahrtausend, in digital gewordener Zeit, kreuzen sich unsere Wege erneut. Und ich soll eine Laudatio halten. Für dich – über dich.
Du bist einer von uns und verkörperst viel. In manchem ragst du über uns hinaus. Und darüber möchte ich jetzt reden. Wer also bist du, dass wir dich heute als neues Ehrenmitglied des SMV feiern? Was macht dich denn so besonders? Wer dich betrachtet, dem fällt deine unverzichtbare Tabakspfeife mit ihrem angenehm duftenden Qualm auf, der von deinem Gesicht weicht, es sichtbar werden lässt. Dein Bart und die grossgläserne Brille werden erkennbar; deine treuherzigen Augen leuchten. Mit analytischem Blick spähst du in dein Gegenüber oder in die zu regelnde Sache. Wer dir näher begegnet, lernt einen guten Menschen kennen, der wohlüberlegt denkt, handelt und auffallend sonor spricht. Zuweilen bist du ein kritischer Zweckskeptiker, ein überaus besorgter Weltbetrachter; ein Umweltschützer und ein langjähriger Autoverzichtender. Zwar fliegst du (sicher selten) mit dem Helikopter auf deine geliebte Tessiner Alp. Dies dürfte aber deinen bescheidenen ökologischen Fussabdruck wohl nur unmerklich vergrössern.
Du bist einer, der sich nicht zurückhält, wenn dir etwas zuwider ist. Da teilst du schon mal pragmatisch ein paar geschärfte Worte aus, immer bedächtig zwar, über der Sache stehend. Bei all dem teilt sich dem Betrachter, der Betrachterin deines Lebensantlitzes auch Biografisches mit: Der bernische Bub, der schon Lieder komponiert. Später der beliebte Junglehrer; dann das Studium zum Bratschisten und Theorielehrer. Auch zum Komponisten bei Sándor Veress und dem kürzlich verstorbenen Klaus Huber lässt du dich ausbilden, «Komponieren, die Hauptsache in meinem Leben», wie du bedeutungsschwer sagst. Als ein wichtiger, dialogsuchender Tonsetzer von rund 80 vielgestaltigen Werken (zahlreiche Auftragskompositionen) wurdest du mehrfach ausgezeichnet. Zudem sind deine Wirkungsfelder als Forscher einerseits (Centre de Recherches Sonores von Radio Genf) und andererseits als Orchestermusiker zu nennen, zuletzt als Bratschist des Orchesters der Zürcher Oper. Bei all diesem kraft- und -zeitbeanspruchenden Wirken scheinen weitere Aktivitäten kaum mehr möglich zu sein. Würde man meinen; dem ist aber nicht so. Auch gewerkschaftliche und sozialdemokratische Anliegen sind dir wichtig. Zuerst bist du in der Sektion Zürich des SMV als Vorstandsmitglied und als Präsident aktiv, ebenso als Personalvertreter im Tonhallevorstand. Du hast dein Pensum zur Hälfte reduziert, um Zeit für deine (ehrenamtlichen) gewerkschaftlichen Tätigkeiten zu finden. Acht Jahre wirkst du schliesslich (nach Marianne Sonder) als «Zentralpräsident des Schweizerischen Musikerverbands für alle Mitglieder». Zugleich, über diese Zeit hinaus, kniest du dich auch in die Arbeit als Vertreter des SMV in der FIM, der Internationalen Musikerföderation, dort als Vorstand, für den du weltweit an Sitzungen und Kongressen teilnimmst. Nach deiner Pensionierung bist du Prüfungsexperte an der Zürcher Musikhochschule; zeitweise wirkst du auch als Ombudsmann des krisenerprobten Schweizerischen Musikpädagogischen Verbands.
Und endlich: Die unvollständige Liste deines verbandsbezogenen Wirkens verblüfft selbst Insider:
- Revision der SMV-Statuten
- Gründung der SMV-Stiftung
- Vorbereitung des Übertritts des SMV zum Schweizerischen Gewerkschaftsbund
- Gestaltung eines neuen Leitbildes und Logos des SMV
- Einführung einer verbandseigenen Homepage
- Gestaltung der Handbücher für Vorstände
- Gründung der Management- und -Stresskurse im Herzberg
- Etablierung der C-Mitgliederkonferenz [so wurden früher die Freischaffenden genannt]
- Einführung der Altersvorsorge für die Mitglieder ohne feste Anstellung
- Vorbereitung, Fusionierung der verschiedenen Fachzeitschriften, und als Folge die Mitbegründung der Schweizer Musikzeitung
- Neugestaltung der Bieler Orchesterkurse
- Mitbegründung und Begleitung der SON-Stiftung
- Entschlossenes Eintreten für Anliegen der Musikmedizin
- Ermöglichung des Kongresses «50 Jahre FIM» in der Schweiz
Summa summarum: All dies macht dich so besonders, denn du bist ein vielfältiger Macher der ungewöhnlichen Art, nach Daniel Fueter «mit einer tiefen Abneigung gegen Selbstdarstellung». Du warst ein bedeutender Gewerkschafter und Zentralpräsident. Und als herausragender Künstler bist du einer, der vom politisch und sozial engagierten Aktivisten nicht zu trennen ist. Du hast den SMV entscheidend bewegt und verändert. Deshalb hast du die Ehrenmitgliedschaft verdient. Ich gratuliere dir herzlich.