Ein Musikerleben ist ein Leben voller Anekdoten und Geschichten. Hans Martin Ulbrich hat sie gesammelt und veröffentlicht.  

Standardwerk für die Hosentasche

Johannes Knapp , 09.11.2017

Ein Musikerleben ist ein Leben voller Anekdoten und Geschichten. Hans Martin Ulbrich hat sie gesammelt und veröffentlicht.

 Es sei die Behauptung gewagt, dass das Sammeln ein menschlicher Urinstinkt ist. Es soll umtriebige Sammlerinnen und Sammler geben, die in enzyklopädischer Manier chinesische Vasen, holländische Trachtenpuppen oder russische Matroschkas anhäufen. Das Sammeln kann auch der Weiterbildung dienen. Der gute alte Goethe interessierte sich besonders für Geologie und blickte gegen Ende seines langen Lebens nicht ohne Stolz auf eine beträchtliche Mineraliensammlung. Die Sammelleidenschaft von Hans Martin Ulbrich bezieht sich nicht auf Materielles, sondern Anekdoten aus dem klassischen Musikbetrieb. Während seiner über 40-jährigen Laufbahn als Englischhornist und Oboist des Tonhalle Orchesters Zürich hat der Autor in dem kleinen aber feinen Band mit dem Titel Dirigieren verdirbt den Charakter Selbsterlebtes und Überliefertes zusammengetragen. Viel Witziges findet sich darin. Doch im Gegensatz zu den weit verbreiteten Glühbirnenwitzen etwa, die unterschiedlichste Instrumentenstereotypen zementieren und ihren Unterhaltungswert oft erst am Blechbläserstammtisch nach dem dritten Bier entfalten, verbirgt sich zwischen den unverwüstlichen Hardcoverbuchdeckeln dieser Reclam-Publikation vor allem anspruchsvoll Amüsantes, Erstaunliches und nicht zuletzt auch Tiefgründiges. Natürlich wird auch das eine oder andere Klischee bestätigt. Wie sollte es auch anders sein? Ein Beispiel: Zur Saisoneröffnung der Mailänder Scala 1992 wurde Luciano Pavarotti wegen drei falscher Töne ausgebuht, was zu einer Prügelei unter den Stehplatzbesuchern und schliesslich zum Einschreiten der Polizei führte. Dafür wird an anderer Stelle gegen Klischees zu Felde gezogen, so beispielsweise in einer längeren Episode über die Berufung Kirill Petrenkos zum Chefdirigenten der Berliner Philharmoniker. Mit wenigen Anekdoten sei es möglich, ein Bild von einem Menschen zu geben, meinte Nietzsche einmal. In dieser Hinsicht sprechen die 136 Seiten Bände. «Was in vielen Musikerseelen Alltag bedeutet, das wird hier, in diesem Buch, der Leserin, dem Leser oft augenzwinkernd offenbart von einem Kenner, der ein Musikerleben lang mit wachem Blick und offenem Ohr köstliche Musiker-Anekdoten ‚zur Gemüths-Ergoetzung’ versammelt hat», schreibt Bernhard Haitink im Geleitwort. Einzig die Systematik der neun Kapitel erschliesst sich nicht so recht. Das schmälert den Wert des Bandes jedoch nicht, zumal er wie ein Fotoalbum zum Durchblättern kreuz und quer einlädt. Er kostet fünfzehn Franken und neunzig Rappen und eignet sich als Mitbringsel – bald ist Weihnachten! –, Themenfundgrube für Probenpausen-Smalltalks oder beispielsweise als Gutenachtlektüre. Und auf dem Notenpult hat es auch Platz, wenn man gerade einmal nichts zu spielen hat...

Hans Martin Ulbrich, Dirigieren verdirbt den Charakter. Musikeranekdoten, 136 S., CHF 15.90, Reclam, Stuttgart 2017, ISBN 978-3-15-011100-0

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