
Corporate Health
Mit einem Projekt über betriebliches Gesundheitsmanagement im Orchester geht die Philharmonia Zürich als gutes Beispiel voran. Wir trafen den Präsidenten des Orchestervorstands zum Gespräch.
Gesundheit, so besagt ein Sprichwort, ist leichter verloren als wiedergewonnen. Musiker, die sie verloren haben, klagen über Tinnitus, fokale Dystonie, Karpaltunnelsyndrom, Schmerzen im Bewegungsapparat und vieles mehr. In der Hoffnung, die Gesundheit wieder zu erlangen, wenden sie sich an den Arzt oder Therapeuten ihres Vertrauens. Über Beschwerden und Krankheiten jedoch sprechen sie nicht gerne, und wenn doch, dann eher ausserhalb ihres Berufsfelds oder hinter vorgehaltener Hand. Doch es besteht Hoffnung, dass es sich dabei mehr und mehr um ein überkommenes Klischee handelt, denn die Sensibilität für Gesundheitsfragen scheint grösser zu werden – nicht nur in der freien Wirtschaft, sondern auch in Orchesterbetrieben. Dabei geht es nicht nur darum, physischen wie psychologischen Risiken, Erkrankungen und Arbeitsunfällen vorzubeugen (Pathogenese), sondern auch um die Frage nach den Bedingungen guter Gesundheit sowie der Ermöglichung von Wohlbefinden am Arbeitsplatz (Salutogenese). Heutzutage gilt es, den pathogenetischen Ansatz, der seit geraumer Zeit in der Musikermedizin sowie der Musikerphysiologie verfolgt wird, durch einen salutogenetischen zu ergänzen: Wie können Orchestermusiker trotz hoher Belastungen, die diesen Beruf wohl immer begleiten werden, gesund bleiben? Mehr noch: Durch welche Umstände lässt sich ihre Gesundheit steigern?
Vor viereinhalb Jahren kam zwischen dem Department Soziale Arbeit der Hochschule Luzern, dem Opernhaus und der Philharmonia Zürich ein Kooperationsprojekt zum betrieblichen Gesundheitsmanagement zustande. «Eine derart objektivierende Studie wie diese hat es bei uns zuvor nie gegeben», resümiert Hans-Peter Achberger, Präsident des Orchestervorstands. Auch wenn bei einigen Musikern zunächst eine gewisse Skepsis geherrscht habe («Es ändert sich sowieso nichts»), sei das Projekt von allen Instanzen gutgeheissen und mitgetragen worden.
Die Erhebung der Ausgangslage gliederte sich einerseits in diverse Einzel- und Gruppeninterviews, die durch sämtliche Betriebshierarchien hindurch geführt worden waren, andererseits wurde als «Kernstück» des Projekts von den Musikern ein umfassender Fragebogen ausgefüllt. Die Resultate wurden in einer Orchesterversammlung vorgestellt und diskutiert, vor allem aber wurde von einer Arbeitsgruppe aus Orchestervorstand und Orchesterdirektion ein detaillierter Massnahmenkatalog erstellt. Er gliederte sich in zwei Kategorien. Achberger spricht grob unterteilend von «Software» und «Hardware». Zur ersteren gehören Organisationsschulungen, Weiterbildungsmöglichkeiten, Beratung und Betreuung verschiedener Gremien, Supervisionen für den Orchestervorstand, zur letzteren die Anschaffung neuer Pultbeleuchtungen, neuer Stuhlgarnituren, oder auch bauliche Massnahmen wie zum Beispiel Duschen für die Musiker. Sogar für Massagemöglichkeiten wird seither gesorgt, zumindest dann, wenn der Opernabend länger als vier Stunden dauert.
Dass die Massnahmen mehrheitlich umgesetzt werden konnten, sei nicht zuletzt auch der Tatsache zu verdanken, dass man bei der Studie um einen hohen Objektivitätsstandard bemüht war. Man habe das nötige Vertrauen bei der Opernhausdirektion erweckt, so Achberger. Nicht nur im Sinne der Nachhaltigkeit des vierjährigen Pilotprojekts sei es nun aber wichtig, dass die Veränderungsprozesse nicht stagnieren, sondern langfristig vorangetrieben und fortwährend reflektiert würden. «Wir müssen uns proaktiv um die Gesundheit kümmern. Die Lösungen liegen im Betrieb selbst und nicht in den Arztpraxen», gibt er zu bedenken. Auch die Gewerkschaften seien in die Pflicht zu nehmen: «Das Bundesgesetz über die Mitsprache der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Betrieben sieht eine Mitwirkung gerade bei Unfall- und Arbeitnehmerschutz vor. Um aber mitsprechen zu können, bedarf es einer entsprechenden Ausbildung und Information der Funktionäre. Beides zu liefern, wäre eigentlich Aufgabe der Gewerkschaften und Verbände. Zudem könnten bereits in den GAVs Organe bzw. Gremien definiert werden, die sich der gesundheitlichen Situation in den Betrieben widmen. Den Orchestern wächst dankenswerterweise viel Beistand und Wissen von aussen zu, auch die meisten Arbeitgeber verschliessen sich keineswegs einem vernünftig und fundiert geführten Dialog. Woran es mangelt, ist das organisatorische Wissen: Wie können Erkenntnisse nachhaltig angewendet und in Abläufe integriert werden?»
Das Fazit aus unserem Gespräch lautet: Es geht nicht allein um die Gesundheit einzelner Musiker, sondern auch um übergeordnete Gesundheitsstrategien, bedingt durch eine adäquate Führungskultur. Denn bei allen gesundheitlichen Problemen, die den «Athleten der kleinen Muskeln, des Gehirns und der Emotion» (Eckart Altenmüller) aufgrund hoher Belastungen im Berufsalltag drohen, liegt es im Wesen der Musik, Freude zu bereiten – sowohl dem Publikum, als auch den Musikern. Achberger ist überzeugt: «Wenn im Betrieb Resonanz herrscht, klingt das Orchester noch besser.»