Im vergangenen Herbst wurden die deutschen Theater und Orchester von der Unesco-Kommission in die Liste des immateriellen Kulturerbes aufgenommen. Doch was bedeutet das eigentlich?  

Sich immer wieder neu erfinden 


Johannes Knapp , 25.03.2015

Im vergangenen Herbst 
wurden die deutschen Theater und Orchester von der 
Unesco-Kommission in die 
Liste des immateriellen 
Kulturerbes aufgenommen. Doch was bedeutet das 
eigentlich? 


Über vierzig Jahre ist es her, dass die Generalkonferenz der Unesco (Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur) mehrere Wochen in Paris tagte, um das Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturgutes der Welt zu Papier zu bringen. Die Vertragsstaaten dieses Übereinkommens, das nach wie vor in Kraft ist, verpflichten sich dazu, das in ihrem Hoheitsgebiet liegende Kultur- und Naturgut zu schützen, zu erhalten, für die breite Bevölkerung zu erschliessen und die Weitergabe an künftige Generationen sicherzustellen. Als Kulturgut gelten Denkmäler, Gebäudegruppen und Stätten, und als Naturgut besondere physikalische, biologische geologische und physiographische Formationen, die mitunter Lebensräume für bedrohte Tier- und Pflanzenarten darstellen, sowie Naturstätten, die in wissenschaftlicher Hinsicht oder bezüglich ihrer natürlichen Schönheit von «aussergewöhnlichem universellem Wert» sind. Der kleinste gemeinsame Nenner dieser Kultur- und Naturgüter ist die Tatsache, dass es sich um unbewegliche materielle Güter handelt. In der Schweiz zählen zu den Kulturgütern unter anderem die Berner Altstadt sowie das Benediktinerinnenkloster St. Johann im Val Müstair. Als Naturgut in die Liste des Welterbes aufgenommen worden sind etwa die Alpenregion Jungfrau-Aletsch als grösstes vergletschertes Gebiet Eurasiens sowie die Weinberge des Lavaux, die seit dem elften Jahrhunderts zur Kultivierung von Weinreben genutzt werden.

Das immaterielle Kulturerbe hingegen sei «lange in seiner Bedeutung für regionale und nationale Identitätsverständnisse sowie für die intergenerationale Kommunikation unterschätzt worden», heisst es auf der Webseite der Schweizerischen Unesco-Kommission. So hat die internationale Generalkonferenz der Unesco erst im Herbst 2003 ein entsprechendes Übereinkommen verfasst, das 2008 auch von der Schweiz ratifiziert wurde. Es sieht vor, dass jeder Vertragsstaat nationale Listen erstellt, die einen Überblick über das immaterielle Kulturerbe gewährleisten.

In Deutschland existiert seit 2013 ein bundesweites Verzeichnis, in das im Herbst auch die deutsche Theater- und Orchesterlandschaft aufgenommen wurde – neben 26 weiteren Kulturformen, darunter Moderner Tanz, sächsische Knabenchöre, die Passionsspiele Oberammergau, Amateur-Chormusik, der Rheinische Karneval und nicht zuletzt auch die deutsche Brotkultur.

Was aber bringt ein Unesco-Logo der deutschen Brotkultur? Und was bringt es den Orchestern, wenn doch 2016 zwei der bedeutendsten «fusioniert» werden sollen?

Natürlich ist es höchst fragwürdig, ob dadurch die zunehmende Verdrängung traditionellen Brotback-Handwerks durch billige Massenproduktion beziehungsweise die Abschaffung hochrangiger Orchester verhindern kann. Umso mehr jedoch ist die Auszeichnung als respektables Gütesiegel und Warnsignal zu verstehen, ganz besonders von jenen politischen Entscheidungsträgern, die kulturelle Veränderungsprozesse durch willfährige Etatkürzungen oder gar Schliessungen vielmehr behindern als unterstützend begleiten.

Die deutsche Unesco-Kommission verweist zurecht auf die Zukunftsfähigkeit der historisch gewachsenen Theater und Orchester: «Die Qualität der Theater- und Orchesterlandschaft liegt auch darin, auf neue soziale, kulturelle, politische Entwicklungen und sich daraus ergebende Probleme und Verhältnisse flexibel zu reagieren. Sie begreift diese Veränderungen als Herausforderung, sich immer wieder neu zu erfinden.» Was das konkret bedeuten kann, hat das von permanentem Sparzwang stark belastete Theater Lübeck im Februar mit der Einladung von Flüchtlingen und Asylsuchenden zu Generalproben gezeigt.

Die Bewerbung für die Aufnahme der Orchester und Theater in die Unesco-Liste hatten im April 2014 der Deutsche Musikrat, die Deutsche Orchestervereinigung und der Deutsche Bühnenverein eingereicht. Gutgeheissen wurde sie im November von einem unabhängigen Expertenkomitee anhand bestimmter Kriterien, etwa, dass das Kulturgut eine identitätsstiftende Rolle innerhalb der Gesellschaft einnimmt und die Traditionen oder Wissensformen lebhaft praktiziert werden. Das erinnert an Mahlers vielzitiertes Diktum von Tradition als «Weitergabe des Feuers» anstelle einer «Anbetung der Asche». Weitergegeben werden kann das Feuer, wenn die erforderlichen Massnahmen zur Bewahrung des immateriellen Kulturerbes ergriffen werden. Und genau dazu verpflichten sich die Vertragsstaaten mit der Ratifizierung des Übereinkommens: «Unter ‚Bewahrung’ sind Massnahmen zu verstehen, die auf die Sicherung der Lebensfähigkeit des immateriellen Kulturerbes gerichtet sind, einschliesslich der Identifizierung, der Dokumentation, der Erforschung, der Erhaltung, des Schutzes, der Förderung, der Aufwertung, der Weitergabe, insbesondere durch formale und informelle Bildung, sowie der Neubelebung der verschiedenen Aspekte dieses Erbes.»

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Immaterielles Kulturerbe: das Theater Lübeck im mittelalterlichen Unesco-Stadtkern bei Nacht

Über vierzig Jahre ist es her, dass die Generalkonferenz der Unesco (Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur) mehrere Wochen in Paris tagte, um das Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturgutes der Welt zu Papier zu bringen. Die Vertragsstaaten dieses Übereinkommens, das nach wie vor in Kraft ist, verpflichten sich dazu, das in ihrem Hoheitsgebiet liegende Kultur- und Naturgut zu schützen, zu erhalten, für die breite Bevölkerung zu erschliessen und die Weitergabe an künftige Generationen sicherzustellen. 


Als Kulturgut gelten Denkmäler, Gebäudegruppen und Stätten, und als Naturgut besondere physikalische, biologische geologische und physiographische Formationen, die mitunter Lebensräume für bedrohte Tier- und Pflanzenarten darstellen, sowie Naturstätten, die in wissenschaftlicher Hinsicht oder bezüglich ihrer natürlichen Schönheit von «aussergewöhnlichem universellem Wert» sind. Der kleinste gemeinsame Nenner dieser Kultur- und Naturgüter ist die Tatsache, dass es sich um unbewegliche materielle Güter handelt. 


Bereit für die Zukunft?


In der Schweiz zählen zu den Kulturgütern unter anderem die Berner Altstadt sowie das Benediktinerinnenkloster St. Johann im Val Müstair. Als Naturgut in die Liste des Welterbes aufgenommen worden sind etwa die Alpenregion Jungfrau-Aletsch als grösstes vergletschertes Gebiet Eurasiens sowie die Weinberge des Lavaux, die seit dem elften Jahrhunderts zur Kultivierung von Weinreben genutzt werden.


Das immaterielle Kulturerbe hingegen sei «lange in seiner Bedeutung für regionale und nationale Identitätsverständnisse sowie für die intergenerationale Kommunikation unterschätzt worden», heisst es auf der Webseite der Schweizerischen Unesco-Kommission. So hat die internationale Generalkonferenz der Unesco erst im Herbst 2003 ein entsprechendes Übereinkommen verfasst, das 2008 auch von der Schweiz ratifiziert wurde. Es sieht vor, dass jeder Vertragsstaat nationale Listen erstellt, die einen Überblick über das immaterielle Kulturerbe gewährleisten.


In Deutschland existiert seit 2013 ein bundesweites Verzeichnis, in das im Herbst auch die deutsche Theater- und Orchesterlandschaft aufgenommen wurde – neben 26 weiteren Kulturformen, darunter Moderner Tanz, sächsische Knabenchöre, die Passionsspiele Oberammergau, Amateur-Chormusik, der Rheinische Karneval und nicht zuletzt auch die deutsche Brotkultur.


Was aber bringt ein Unesco-Logo der deutschen Brotkultur? Und was bringt es den Orchestern, wenn doch 2016 zwei der bedeutendsten «fusioniert» werden sollen? Natürlich ist es höchst fragwürdig, ob dadurch die zunehmende Verdrängung traditionellen Brotback-Handwerks durch billige Massenproduktion beziehungsweise die Abschaffung hochrangiger Orchester verhindern kann. 


Umso mehr jedoch ist die Auszeichnung als respektables Gütesiegel und Warnsignal zu verstehen, ganz besonders von jenen politischen Entscheidungsträgern, die kulturelle Veränderungsprozesse durch willfährige Etatkürzungen oder gar Schliessungen vielmehr behindern als unterstützend begleiten.


Die deutsche Unesco-Kommission verweist zurecht auf die Zukunftsfähigkeit der historisch gewachsenen Theater und Orchester: «Die Qualität der Theater- und Orchesterlandschaft liegt auch darin, auf neue soziale, kulturelle, politische Entwicklungen und sich daraus ergebende Probleme und Verhältnisse flexibel zu reagieren. Sie begreift diese Veränderungen als Herausforderung, sich immer wieder neu zu erfinden.» Was das konkret bedeuten kann, hat das von permanentem Sparzwang stark belastete Theater Lübeck im Februar mit der Einladung von Flüchtlingen und Asylsuchenden zu Generalproben gezeigt.


Das Feuer weitergeben


Die Bewerbung für die Aufnahme der Orchester und Theater in die Unesco-Liste hatten im April 2014 der Deutsche Musikrat, die Deutsche Orchestervereinigung und der Deutsche Bühnenverein eingereicht. Gutgeheissen wurde sie im November von einem unabhängigen Expertenkomitee anhand bestimmter Kriterien, etwa, dass das Kulturgut eine identitätsstiftende Rolle innerhalb der Gesellschaft einnimmt und die Traditionen oder Wissensformen lebhaft praktiziert werden. Das erinnert an Mahlers vielzitiertes Diktum von Tradition als «Weitergabe des Feuers» anstelle einer «Anbetung der Asche». 


Weitergegeben werden kann das Feuer, wenn die erforderlichen Massnahmen zur Bewahrung des immateriellen Kulturerbes ergriffen werden. Und genau dazu verpflichten sich die Vertragsstaaten mit der Ratifizierung des Übereinkommens: «Unter ‹Bewahrung› sind Massnahmen zu verstehen, die auf die Sicherung der Lebensfähigkeit des immateriellen Kulturerbes gerichtet sind, einschliesslich der Identifizierung, der Dokumentation, der Erforschung, der Erhaltung, des Schutzes, der Förderung, der Aufwertung, der Weitergabe, insbesondere durch formale und informelle Bildung, sowie der Neubelebung der verschiedenen Aspekte dieses Erbes.»

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