Christoph Wagner: Geistertöne 
Musikalische Grenzgänger

Musikalische Grenzgänger

Thomas Meyer, 19.01.2022

In seinem Buch führt Christoph Wagner Gespräche über Musik jenseits der Genregrenzen und zeigt auf, wie sich die Stile gegenseitig beeinflussen.

Der Titel lässt aufhorchen: Was mag es mit diesen «Geistertönen» auf sich haben? Aber mit Hamlet, Don Giovanni oder Poe hat das nichts zu tun. Bald stellt man etwas ernüchtert fest, dass es sich einfach um «Musik jenseits der Genregrenzen» handelt – die müssen ja noch nicht gleich jenseitig sein, sondern sind sehr gegenwärtig, wie der Autor schön darlegt. Christoph Wagner ist schon mit mehreren Büchern aufgefallen, in denen er solche Zwischenbereiche erkundete. Hier nun stellt er vornehmlich US-amerikanische Musikerinnen und Musiker vor: Komponisten wie Christian Wolff, George Crumb oder Morton Subotnik etwa, die Vokalistin Meredith Monk, David Harrington, den Primgeiger des Kronos-Quartetts, oder den Komponisten und Posaunisten George Lewis. Dessen Begriff der «Kreolisierung», einer Weltmusik ohne zentraleuropäische Scheuklappen, ist mehr als bedenkenswert – und einer der wichtigsten Impulse in diesem Buch.

Hauptsächlich in Gesprächen sowie einigen zusammenfassenden Aufsätzen präsentiert Wagner diese Musiken zwischen Avantgarde, (Free) Jazz, Minimalismus, Elektronik, Rock, Folk, Volksmusik etc.: kenntnisreich, journalistisch, leicht verständlich, ohne den musikalischen Phänomenen auf den Grund gehen zu wollen, vielmehr den Persönlichkeiten und ihren geistigen Entwicklungen entlang. Und ganz nebenher kann man verfolgen, wie sich die elektrifizierten und elektronischen Instrumente seit den Sechzigern in die Klangwelt eingemischt haben. Aufgezeigt wird so die andere Avantgarde, die in der zentraleuropäischen E-Musik stets etwas vernachlässigt, wenn nicht belächelt wurde. Der Impuls für das Streichquartett etwa, der vom Kronos-Quartett ausging, ist durchaus mit jenem des Arditti-Quartetts vergleichbar. Spürbar wird, wie sich die Stile gegenseitig beeinflusst haben und wie sie sich durchdringen. Von den Rändern her drangen neue musikalische Elemente ein. Darauf lenkt Wagner einmal mehr mit diesem Buch einen liebevollen Blick.

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Christoph Wagner: Geistertöne. Gespräche über Musik jenseits der Genregrenzen, 172 S., ill., € 29.95, Schott, Mainz 2021, ISBN 978-3-7957-8699-1

 

 


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