
Minimalistische Auslegung in Basel
Die Fachschaften Musik in Basel-Stadt und Basel-Landschaft wehren sich gegen einen faktischen Abbau des Musikunterrichts auf der Sekundarstufe I. Moniert wird unter anderem, Musik und Bildnerisches Gestalten würden durch die Verschiebung in den Pflichtwahlbereich massiv abgewertet, was dem neuen, vom Stimmvolk angenommenen Bundesverfassungsartikel zur musikalischen Bildung zuwiderlaufe. Im Basler Volkshaus wurde am 27. Februar dieser Abbau diskutiert.
Wer glaubte, die überaus deutliche Zustimmung der Stimmbürger zum Verfassungsartikel musikalische Bildung im vergangenen Herbst hätte die zukünftige Stellung des Fachs Musik an den Basler Schulen gestärkt, wird durch die aktuelle Planung der Kantone Basel-Stadt und Basel-Landschaft im Zuge der Umsetzung von HarmoS eines Besseren belehrt. Im Gegenteil: Der Musikunterricht wird vor allem in Basel-Stadt massiv reduziert und auf der Sekundarstufe zum (abwählbaren) Nebenfach heruntergestuft. Zudem sollen in Basel-Stadt die musikalischen Grundkurse der Ägide der Musik-Akademie entzogen werden, obschon sich dieses Modell über 40 Jahre bestens bewährt hat.
Grundkurslehrpersonen: Zuständigkeit neu bei der Volksschule
In Basel-Stadt standen die Grundkurslehrpersonen bis anhin, einzigartig in der Schweiz, unter der direkten Aufsicht der Musik-Akademie. Stephan Schmidt, Direktor der Musik-Akademie Basel verwies auf die langjährigen guten Erfahrungen mit dem jetzigen Modell und warnte vor einem absehbaren langfristigen Qualitätsverlust; müssten die Lehrpersonen in Zukunft auch andere Fächer unterrichten, würde sich kaum dieselbe Qualität erreichen lassen wie mit «Nur»-Musikern, die zudem auch hoch motiviert seien, ihr Fach zu unterrichten. Benno Graber vom Baselbieter Amt für Volksschulen erwiderte, diese Befürchtungen hätten sich in Baselland nicht bewahrheitet und betonte den Vorteil der Integration der Musiklehrpersonen in die jeweilige Schulhauskultur, den Kontakt zu den Kolleginnen und Kollegen. Ausserdem könne bei Bedarf eine Nachdiplomausbildung in Musik absolviert werden. Schmidt relativierte: Ein kürzeres Nachdiplomstudium könne auf keinen Fall eine fundierte Ausbildung wettmachen. Ein grundsätzliches Problem ortete die Runde in der Lehrerausbildung selbst, wo Musik abgewählt werden kann.
Orientierungsschule: Die Basler Musikklassen verschwinden
Mit der Abschaffung der Basler Orientierungsschule werden auch die derzeit etwa 70 Schulklassen mit erweitertem Musikunterricht (EMOS-Klassen) abgeschafft (vgl. dazu SMZ 6/2011 S. 43f.). Die beliebten Musikklassen mit 5 Wochenstunden Musik galten als erfolgreiches, zukunftsweisendes Modell und fanden weit über die Kantonsgrenzen hinaus Beachtung. Politisch unter Beschuss gerieten sie indessen vor allem aufgrund ihres notorisch geringen Ausländeranteils. Mit ihrer Bemerkung, die Musikklassen seien «ein Instrument der Segregation» dürfte Regina Kuratle, Projektleiterin HarmoS im Basler Erziehungsdepartement, allerdings doch etwas übertrieben haben. Überhaupt hätte man in der Diskussion auf diesen Basler Sonderfall etwas vertiefter eingehen dürfen, hätten doch gerade die vielen positiven Erfahrungen der letzten ca. 25 Jahre der Diskussion wichtige Impulse geben können. Mit der Abschaffung der EMOS-Klassen schien man sich indessen am Podium, wenn auch zähneknirschend, schon abgefunden zu haben.
Sekundarstufe: Musik und Bildnerisches Gestalten können abgewählt werden
Umstrittenster Teil der geplanten Reform dürften die Veränderungen auf der Sekundarschule sein. Als neue obligatorische Pflichtwahlfächer werden MINT (mathematisch-naturwissenschaftlicher Schwerpunkt) und LINGUA (Sprachen) eingeführt. Als eines von vier möglichen Pflichtwahlfächern im 8. und 9. Schuljahr wird Musik künftig abwählbar sein. Dasselbe gilt für Bildnerisches Gestalten. Die Fächer sind aber obligatorische Grundlagenfächer am Gymnasium, so dass dort dann unter Umständen gravierende Lücken aufgearbeitet werden müssen. Für Stéphanie Cron von der Kantonalen Konferenz Schulmusik Basel-Landschaft ist die Abwählbarkeit der musischen Fächer an der Schule «ein Skandal.» Selbst Regina Kuratle räumte ein, die geplante Stundentafel sei aus Sicht des Faches Musik «keine befriedigende Lösung». Sie stellte dagegen in Aussicht, es könnten verstärkt musikbezogene Projekte gefördert werden. Dem wurde von verschiedener Seite entgegengehalten, dass Projektarbeit niemals einen nachhaltigen, kontinuierlichen Unterricht ersetzen könne.
Fragwürdig: Umsetzung des «politischen Willens»
Die lebhafte Publikumsdiskussion brachte ein hohes Mass an Irritation unter den anwesenden Musikern und Musiklehrpersonen angesichts der drohenden Degradierung von Musik zum Nebenfach zum Vorschein. Immer wieder wurde die Abstimmung zum Verfassungsartikel musikalische Bildung ins Feld geführt, welche in Basel über 80% Ja-Stimmen erhielt. Unverständnis herrschte weithin darüber, dass angesichts dieses klaren Votums der Musikunterricht in Basel-Stadt so deutlich abgebaut wird. Es werde, so Martina Bernasconi (Basler Grossrätin und ehemaliges Mitglied des Abstimmungskomitees Musikinitiative), vom neuen Verfassungsartikel de facto nur Artikel 3 (Begabtenförderung) wirklich umgesetzt, während die Artikel 1 und 2 ignoriert würden. Tatsächlich scheinen die Kantone sich auch anderwärts mit einer minimalistischen Auslegung des Verfassungsartikels zu begnügen. Der implizite Konflikt zwischen Verfassung und kantonaler Bildungshoheit kam auch dann zum Ausdruck, wenn Regina Kuratle für Basel vom «politischen Willen» sprach, den es umzusetzen gelte – gemeint war natürlich jener des Grossen Rats und der Erziehungsdirektion, nicht jener, der am 23. September 2012 zum Ausdruck gebracht wurde.