Festival Alte Musik Zürich mit «altemusik@ch» 
Blicke auf die Schweizer Alte-Musik-Szene

Blicke auf die Schweizer Alte-Musik-Szene

Thomas Schacher, 02.05.2014

Das Festival Alte Musik Zürich lies die Vielfalt der hiesigen Ensembles und Solisten aufscheinen und ermöglichte die Begegnung mit tonangebenden Exponenten.

Den Titel des angekündigten Werks haben wohl die wenigsten Freundinnen und Freunde der Alten Musik schon gehört: Fontana d’Israel – Israelis Brünnlein. Das Werk stammt vom Leipziger Thomaskantor Johann Hermann Schein, der es dort im Jahr 1623 drucken liess. Es handelt sich um eine Sammlung mit vorwiegend fünfstimmigen Kompositionen für Vokalensemble und Generalbass. Die Texte stammen aus dem Alten Testament, hauptsächlich aus den Psalmen, und formulieren in einer bilderreichen Sprache Weisheiten zu Leben und Tod, zum Verhältnis des Menschen zu Gott. Stilistisch bewegt sich der Zyklus zwischen der Madrigal- und der Motettentradition.

Emotionale Deutung
Den Staub vom altehrwürdigen Werk geblasen haben Gli Angeli Genève unter der Leitung ihres Gründers Stephan MacLeod. In der Zürcher Kirche St. Peter realisierte das Ensemble eine zündende Interpretation des – leicht gekürzten – Zyklus. MacLeod, der selber Bass sang, bildete zusammen mit den Sopranistinnen Dorothee Mields und Monika Mauch sowie den Tenören Robert Getchell und Georg Poplutz ein sehr aussagekräftiges Quintett, das von der Harfenistin Giovanna Pessi, der Cellistin Hager Hanana und dem Organisten François Guerrier auf seiner Truhenorgel klanglich eingebettet wurde. Alle fünf Sänger sind anerkannte Spezialisten für Alte Musik und kultivierten einen geraden, aber emotional durchdrungenen Klang. Hervorragend war die Textgestaltung, die sowohl den Sinn wie auch die Stimmung dieser Bibeltexte erfasste. Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten, heisst das dritte der 26 Stücke. Die expressiven chromatischen Linien bei den «Tränen» und die hüpfenden Rhythmen bei den «Freuden» verdeutlichten diesen Inhalt ganz unmittelbar. Gli Angeli Genève sind wahrlich kein blutleeres Ensemble, ihre von Herzen kommende Gestaltung, die auch gerne mit kräftigen Farben operiert, löste beim Publikum grosse Begeisterung aus.

Schweizer Gruppierungen
Das vom 20. bis zum 30 März dauernde Zürcher Festival trug den modischen Titel altemusik@ch. Mit dem CH war nur am Rande die Musik von Schweizer Komponisten gemeint, zur Hauptsache aber vorklassische Musik, die von schweizerischen bzw. in der Schweiz lebenden Solisten und Gruppierungen gepflegt wird. Wie die Veranstalter vom Forum Alte Musik Zürich in ihrem Vorwort aber selber schrieben, ging es nicht darum «die» Szene der Alten Musik zu präsentieren – da würden zwölf Veranstaltungen nie reichen –, sondern einige interessante Exponenten derselben vorzuführen. Und dies ist ihnen zweifellos gelungen.

Unter der Leitung der Geigerin Leila Schayegh, die bei Chiara Banchini Barockvioline studiert hatte, gastierte das Barockorchester La Cetra aus Basel mit Streichermusik aus dem 17. Jahrhundert. Der Wahlschweizer John Holloway präsentierte mit seinem Ensemble Musik aus der englischen Renaissance. Das junge Ensemble Chant 1450 verband sich mit dem Oud-Spieler Mahmoud Turkmani in einem auf Spanien fokussierten Programm. Alte Musik aus Zürich wurde bei einem Spaziergang durch die Stadt und bei einem Konzert im Theater Rigiblick geboten. Dem Musikleben in der Alten Eidgenossenschaft widmete sich auch ein Symposium, das von Inga Mai Groote von der Universität Zürich geleitet wurde.

Abgeklärte Haltung
Eine Formation, die ebenfalls einen festen Platz in der schweizerischen Alte-Musik-Szene beansprucht, ist der in Lugano beheimatete Coro della Radiotelevisione Svizzera mit seinem künstlerischen Leiter Diego Fasolis. Leider musste dieser seine Teilnahme wegen einer Erkrankung kurzfristig absagen. Sozusagen in letzter Minute fand sich dann mit Gianluca Capuano ein Ersatz, der regelmässig mit dem Coro arbeitet und der das vorgesehene Programm unverändert übernehmen konnte. Das als Schlusspunkt des Festivals gesetzte A-cappella-Konzert in der Kirche St. Peter widmete sich ausschliesslich dem Renaissance-Komponisten Giovanni Pierluigi da Palestrina. Das Programm stand im Zusammenhang mit Fasolis’ ambitiösem Projekt, mit seinem Chor sämtliche Messen Palestrinas auf CD einzuspielen, und zwar auf der Basis der im Entstehen begriffenen wissenschaftlichen Gesamtausgabe.

Das einleuchtend aufgebaute Programm stellte die Missa della Beata Vergine aus dem zweiten Buch der Messekompositionen in den Vordergrund und fügte zwischen den einzelnen Sätzen Motetten und Ricercari ein. Ob die Ricercari wirklich von Palestrina stammen, ist zweifelhaft. Die Stücke, die Capuano auf einer Truhenorgel spielte, bildeten aber so oder so passende Intonationen zu den Vokalwerken. Der Chor sang mit sieben Frauen- und neun Männerstimmen, wobei im Alt auch zwei Männer mitwirkten. Insgesamt ergab sich ein recht homogenes Klangbild mit reiner Intonation und guter Verschmelzung der Stimmen. Bei den Messesätzen zeigte der Chor eine relativ abgeklärte Haltung und wagte sich affektiv nicht auf die Äste hinaus. Bei den Motetten schenkten die Sänger der Textbedeutung mehr Beachtung und brachten damit einige starke Wirkungen hervor. Im Vergleich mit Gli Angeli Genève erreichte aber der Coro della Radiotelevisione Svizzera nicht dieselbe Unmittelbarkeit des Ausdrucks.
 


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